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13.11.2010
Diese Geschichte ist für sich genommen nur € 174,79 wert. Darüber hinaus ist sie aber ein Beispiel dafür, wie in unserer Gesellschaft der Umgang miteinander zum großen Teil vonstatten geht: Angst verbreiten und betrügen. Und natürlich ist hier wieder ein Rechtsanwalt im Spiel, eines dieser bestbeleumundeten, über jeden Zweifel erhabenen, mit öffentlichem Vertrauen bedachten, für ein friedliches Gemeinwesen und gedeihliches Miteinander unverzichtbaren Organe der Rechtspflege.
Vorspiel der Geschichte - noch ahnt man nichts Böses, sondern ganz im Gegenteil: Im November 2009 heirateten meine Frau Claudia und ich, und im Januar 2010 bezogen wir unsere gemeinsame Wohnung. Claudia hatte bislang einen Telefon- und Internetanschluss von 1&1 (vormals Freenet). Diesen benötigten wir nun nicht mehr, da wir gemeinsam meinen bisherigen Telefon- und Internetanschluss der Telekom weiterverwenden würden. Daher kündigten wir mit Schreiben vom 18.12.2009 den 1&1-Anschluss zum 31.12.2009, höchst vorsorglich per Einschreiben mit Rückschein. Darauf antwortete 1&1 mit undatiertem Schreiben, das am 09.01.2010 einging: 1&1 bedauere die Kündigung, die zum 14.04.2010 wirksam werde (dies wäre der reguläre Kündigungstermin gewesen). Eine Begründung, weshalb die Kündigung nicht zum 31.12.2009 akzeptiert wird, enthielt das Schreiben nicht. Dies war insofern nicht verwunderlich, als es natürlich keine Begründung gibt, außer: „Wir wollen unsere Kunden für dumm verkaufen und maximal ausplündern.“ Um zu kaschieren, dass es im Falle eines Umzugs natürlich ein Sonderkündigungsrecht gibt, tat 1&1 so, als wäre Claudia gar nicht umgezogen: Das Schreiben war an ihre frühere Anschrift gerichtet. Wir spielten die Naiven und teilten 1&1 mit Schreiben vom 14.01.2010 mit, hier liege wohl ein Missverständnis vor, denn wir hatten doch zum 31.12.2009 gekündigt.
Statt einer Antwort sandte uns 1&1 mit Datum 01.02.2010 eine lapidare Mahnung über € 81,03 (€ 69,03 Hauptforderung + € 12,00 „Bearbeitungsgebühr“), worin behauptet wurde, man habe uns „vor einigen Tagen“ über den „Zahlungsverzug“ informiert. Dies war natürlich nicht der Fall. Immerhin wäre es mal interessant, zu erfahren, wie eine einige Tage vor einer Mahnung erfolgende Information über einen Zahlungsverzug aussehen mag und welchen Zweck sie hat. Oder anders gesagt: Was meinte 1&1 mit diesem Gefasel? Leider werden wir das niemals erfahren. Adressiert war die Mahnung selbstverständlich an die alte Anschrift, und 1&1 legte uns wohlmeinend nahe, eine „Sperrung Ihres Vertrages“ zu vermeiden - als würde Claudia sich noch in ihrer früheren Wohnung befinden und Gefahr laufen, in Kürze ohne Telefon- und Internetanschluss dazustehen.
Natürlich war die betrügerische Absicht von 1&1 klar, aber - getreu dem Grundsatz, dass man den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen muss - stellten wir uns ebenfalls dumm und teilten 1&1 mit Schreiben vom 04.02.2010 mit, hier liege wohl ein Versehen der dortigen Buchhaltung vor, denn wir hatten doch zum 31.12.2009 gekündigt. Nun begann 1&1, drastisch zu schwächeln: Mit Datum 19.02.2010 erhielten wir wieder eine Mahnung - exakt die gleiche wie am 01.02.2010. Als Revanche für diesen Verlust an Unterhaltungswert übersandten wir 1&1 mit Datum 24.02.2010 wieder ein Schreiben - exakt das gleiche wie am 04.02.2010. Wie du mir, so ich dir!
Daraufhin sandte 1&1 uns mit Datum 04.03.2010 ein neues Schreiben - mit Bezug auf unser Schreiben vom 03.03.2010. Es gab zwar kein Schreiben dieses Datums, aber egal, Hauptsache, wir bekamen wieder Nachschub zum Ablachen. Der nur mahnende Schmusekurs war nun vorüber, und jetzt schwang 1&1 die große Keule: Ein Inkassoverfahren wurde uns in Aussicht gestellt. Aber gnädigerweise bot man uns an, nach sofortiger Zahlung „Ihren Vertrag wieder zu aktivieren“. Wie das gehen sollte, da Claudia sich doch seit 2 Monaten nicht mehr in der früheren Wohnung befand und die dortige Steckdose inzwischen mit wer weiß was für einem Telefon- und Internetanschluss des Nachmieters belegt war, verriet 1&1 uns nicht.
Wir antworteten nicht mehr (4 Einschreiben mit Rückschein reichten auch), und nun kam die Sache so richtig in Fahrt: 1&1 gab den Fall an eine Inkasso-Klitsche weiter. Mit Datum 15.03.2010 schrieb uns (natürlich an die frühere Anschrift) die „BFS risk & collection GmbH“ in Verl, die wahrscheinlich deshalb so heißt, weil immer das Risiko besteht, dass ihre Sammlungsbewegung auch mal auf Leute stößt, die sich nicht über den Tisch ziehen lassen. BFS usw. forderte uns auf, die Forderung (nun € 143,48) umgehend zu begleichen, und verlautbarte, 1&1 sei an der „Fortführung der Kundenbeziehung interessiert“ (was nicht auf Gegenseitigkeit beruhte), wofür man uns anbot, „Sie wieder freizuschalten“. Bislang hatten wir geglaubt, dass nur Anschlüsse freigeschaltet werden können, nicht aber Menschen, doch das war wohl ein Irrtum: Wahrscheinlich betrachten 1&1 und ihre Helfershelfer Kunden als eine Art Strafgefangene, die bei guter Führung auf freien Fuß gesetzt werden können. Anderenfalls aber droht die nächste Eskalationsstufe: Rechtsanwalt!
Die Inkasso-Klitsche fackelte nicht lange und reichte den Fall an eine Rechtsanwalts-Klitsche (Andreas Schneider, Gütersloh) weiter. Diese schrieb uns erstmals am 25.03.2010 (der Beginn einer wunderbaren und vor allem -samen, wenn auch sehr einseitigen Brieffreundschaft), und zwar verblüffenderweise an die aktuelle Anschrift. War der Herr Rechtsanwalt zu unintelligent, den raffinierten Trick mit der alten Anschrift zu begreifen, oder war er zu submotiviert für solche Feinsinnigkeiten? Das weiß man bei Rechtsanwälten nie so genau. Wie auch immer, ob blöd und/oder faul, auf jeden Fall war dieser Herr Rechtsanwalt ein Titan seines Metiers und wild entschlossen, uns zu zerschmettern: „Mit Nachdruck“ werde er die Forderung (nun € 173,59) gegen uns „durchsetzen“. Ja, fein! Ei, wo isser denn, unser kleiner Rechtsanwalt, dutzi-dutzi!
Doch schon kurz nach diesem furiosen Einstieg begann auch der Herr Rechtsanwalt, deutlich nachzulassen, und brachte auf rührend dümmliche Weise zum Ausdruck, dass die inzwischen imposant auf € 211,14 angewachsene Forderung völlig unberechtigt war: In seinem nächsten Schreiben vom 06.04.2010 bot er uns plötzlich eine Ratenzahlung an. Nanu, warum denn das? Hatten wir darum nachgesucht unter hochnotpeinlicher Offenlegung unserer finanziellen Verhältnisse? Kein Betrieb, der eine berechtigte Forderung verfolgt, bietet einem zahlungsunwilligen Kunden als Lohn für seine Zahlungsunwilligkeit von sich aus eine Ratenzahlung an. Natürlich ging es dem Herrn Rechtsanwalt allein darum, noch zu retten, was doch nicht mehr zu retten war. Die erste Rate erwarte er bis 16.04.2010. Anderenfalls werde er umgehend das gerichtliche Mahnverfahren gegen uns einleiten, wodurch nicht nur weitere Kosten entstehen würden, sondern obendrein (uns stockte der Atem): Unannehmlichkeiten! Um des lieben Himmels willen, was mochte das sein? Russische Schlägertrupps? Oder schlimmer noch: 1 Minute in Gegenwart eines Rechtsanwalts? Am Schluss des Schreibens verlautbarte der Herr Rechtsanwalt, er gehe davon aus, „dass der Vorgang auf dieser Basis ordnungsgemäß zum Abschluss gebracht wird“. Da mussten wir ihm ausnahmsweise mal zustimmen - und deshalb zahlten wir weiterhin nicht.
Von nun an ging's bergab - für den Herrn Rechtsanwalt: Die Frist zur Zahlung der ersten Rate war längst „fruchtlos“ (wie die Damen und Herren Rechtsanwälte und -innen in ihrem blumig-wichtigtuerischen Jargon zu schreiben pflegen) verstrichen, und wir warteten gespannt auf das gerichtliche Mahnverfahren, das natürlich niemals kommen würde. Stattdessen kam mit Datum 26.04.2010 ein weiteres Schreiben des Herrn Rechtsanwalts (€ 211,38): Nix von wegen Nachdruck und Durchsetzung, sondern nur Ausdruck absoluter Unfähigkeit: Statt nun endlich mal rigoros durchzugreifen und ein Exempel zu statuieren, setzte er bloß eine neue Frist zur Zahlung der ersten Rate: 06.05.2010. Nichtsdestoweniger verabsäumte sein Schreibbüro natürlich nicht, routinemäßig den Textbaustein mit dem widrigenfalls zu gewärtigenden gerichtlichen Mahnverfahren abzusondern.
Auch die neuerliche Zahlungsfrist ging sang- und klang- und vor allem zahlungslos vorüber. Wir drückten uns die Nasen an der Fensterscheibe platt und suchten am Horizont nach dem nun schon drei Mal angekündigten gerichtlichen Mahnverfahren. Aber es kam mit Datum 17.05.2010 bloß ein weiteres Schreiben des Herrn Rechtsanwalts: Wieder wurden wir für unsere Zahlungsunwilligkeit belohnt, diesmal dergestalt, dass uns mehr als die Hälfte der Forderung erlassen würde. Wir brauchten statt € 174,11 nur noch „mindestens“ € 81,03 zu zahlen, also gern auch irgendwie ein bisschen mehr, ganz wie es uns beliebt, dann „wird meine Mandantin auf den Rest verzichten“. Anderenfalls aber <textbaustein>. Rätselhaft bleibt zudem, weshalb die Gesamtforderung unvermittelt von zuletzt € 211,38 auf € 174,11 gesunken war - eine Erfolgsprämie für verdienstvolle, standhafte Zahlungsverweigerer?
Wieder verstrich die neue Zahlungsfrist ohne Tuttifrutti, und wieder musste der Herr Rechtsanwalt uns mit Datum 16.06.2010 ein Schreiben schreiben (€ 174,45). Zu diesem Behufe hatte er fleißig in seinen Seminarunterlagen aus dem ersten Semester gewühlt und war tatsächlich fündig geworden: „Titulierungsankündigung“ titulierte er sein Schreiben. Boah geil ey, so ein schwieriges Wort, mit 23 Buchstaben, völlig fehlerfrei geschrieben. Gut gekläfft, Rechtsanwaldi, dafür kriegst du ein dickes Sternchen! Inhaltlich bot sein Schreiben jedoch nichts Erwähnenswertes, lediglich zum nunmehr fünften Male die Androhung des ... äh ... es liegt mir auf der Zunge ... äh ... Aber nein, es gab ja doch etwas Neues: Den Na-Sie-wissen-schon könnten wir nicht nur durch Zahlung, sondern auch durch Meldung abwenden. ???! Doch, in echt: „Ich bedauere diese Entwicklung, bin aber gezwungen, den Auftrag meiner Mandantin auszuführen, wenn ich bis dahin keinen Geldeingang verzeichnen kann oder eine Meldung von Ihnen erhalte“. In Grammatik und Semantik bekommt der Herr Rechtsanwalt allerdings nur ein „Setzen, 6!“, denn bei genauer Betrachtung bedeutete die Aussage genau das Gegenteil: Er werde den Auftrag ausführen, wenn er eine Meldung von uns erhalte. Was aber meinte er eigentlich mit „Meldung“? Sollen wir ihn anrufen, die Hacken zusammenknallen und brüllen: „Schuldner 7-248242066221-0 meldet sich zur Stelle! Jawoll!“ Wir versuchten, im BGB, in höchstrichterlicher Rechtsprechung und in der juristischen Literatur in Erfahrung zu bringen, was eine „Meldung“ ist und wieso man sich dadurch von allen Zahlungsverpflichtungen befreien kann, wurden aber nicht fündig.
Sodann schlug diese Juxgeschichte eine unerwartete, überaus raffinierte dramaturgische Volte: Eine durch die fulminanten Auftritte des tragischen Helden Rechtsanwalt schon fast in Vergessenheit geratene Nebenrolle wurde wieder aus dem Fundus geholt und auf die Bühne geschubst - die Inkasso-Klitsche. Und obendrein war es ihr vergönnt, den großen Schlussmonolog in dieser Komödie der Irrungen zu deklamieren: Mit Schreiben vom 16.07.2010 (€ 174,79) teilte sie uns mit, dass der Herr Rechtsanwalt nun aber wirklich ganz bestimmt im Ernst endgültig den sagenumwobenen (jetzt fällt's mir wieder ein) gerichtlichen Mahnbescheid erwirken werde. Diesen könnten wir nur dadurch abwenden, dass wir bis 26.07.2010 zahlen. Oder uns melden.
Damit meldeten sich 1&1 & Kumpane bei uns ab. Nie wieder haben wir seitdem Post von ihnen erhalten, geschweige denn das insgesamt sechs Mal angedrohte ewige Phantom. So bleibt als Epilog nur ein Zitat aus einem anderen Meisterwerk des absurden Theaters: „Was machen wir hier? Das muss man sich fragen. Wir haben das Glück, es zu wissen. Ja, in dieser ungeheuren Verwirrung ist eines klar: Wir warten darauf, dass Godot kommt.“ Und der gerichtliche Mahnbescheid.
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