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Thüringer Geschnacktes
Was ist der Mensch (der linke)? |
Sozialistische Wurzelmännchinnen und Wurzelmännchen AfO - Alternative für Ostdeutschland Millionen Fliegen können irren Wahlordnung ist das halbe Leben |
Schluss mit der falschen Bescheidenheit und der vom linken Lager (allen voran natürlich die PDS) oktroyierten unpatriotischen Selbstverleugnung! Wir Deutschen können wahrlich stolz sein auf uns und unser Land! Nach 24 Jahren Einheit dürfen wir mit Fug und Recht sagen: Wir haben es geschafft - ganz Deutschland ist ein Irrenhaus. Und Thüringen ist die Zentrale. Welche segensreiche, von der Vorsehung gesandte, führende Kraft hat dieses Wunder, das wir uns 1990 in unseren blühendsten Träumen nicht ausgemalt hätten, bewirkt? Natürlich die PDS. Und ihre Kollaborationspartner SPD und Grüne. Dieses Triumvirat hat es geschafft, dass aus Anlass der Thüringer Landtagswahl am 14. September 2014 so viel geredet, verlautbart und veröffentlicht wurde wie noch nie zuvor zu einer Landtagswahl. Das Folgende ist die Chronik dieser realen Polit-Schmonzette im Format einer täglichen Schmierseifenoper ohne Werbepausen.
Anja Siegesmund, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Thüringer Landtag, verlautbart, Bodo Ramelow erscheine ihr „sozialdemokratischer als mancher Sozialdemokrat“. Andreas Bausewein, Vorsitzender der Thüringer SPD, meint, Bodo Ramelow sei „kein typischer Linker“. Katrin Göring-Eckardt, aus Thüringen kommende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, hält die Thüringer PDS für „faktisch eine sozialdemokratische Partei“, und auch die Frankfurter Rundschau sieht das so: Die PDS „ist einfach eine weitere sozialdemokratische Kraft.“ So einfach ist das.
Sigmar Gabriel trägt noch dicker auf - naturgemäß, schließlich ist er Bundesvorsitzender der SPD: In einem Fernsehinterview stammelt er ziellos herum, verhaspelt sich, nuschelt bis zur Unverständlichkeit, offensichtlich beherzigt er den Grundsatz „Es genügt nicht, nichts zu sagen zu haben, man muss auch noch unfähig sein, es auszudrücken“. Es scheint, als versuche er unbewusst, dem hanebüchenen Unsinn, den abzusondern er im Begriff ist, auszuweichen, aber er kommt nicht darum herum: „Die Linkspartei in Thüringen hat ... das ist der Teil der Linkspartei, die absolut ... mit denen man verlässlich Politik machen kann. Das ist in Teilen ... wenn Sie mal ... ähm ... sagen wir mal, mit denen reden, dann haben Sie den Eindruck, ja, ordentliche rechte Sozis.“ Dann dürfte ja demnächst in Thüringen die Agenda 2020 fröhliche Urständ feiern.
Wie ausweglos mit dem Rücken zur Wand stehen Leute, wie kurz vor dem Ertrinken reicht ihnen das Wasser bis zum Hals, wenn sie Zuflucht suchen müssen zu solch dummem Gerede? Merken die versammelten PDS-Verharmloser gar nicht, wie peinlich durchsichtig das ist? Wie würden Siegesmund und Göring-Eckardt reagieren, wenn Ramelow behauptete, sie seien keine typischen (was immer das sein mag) Grünen und ihre Partei sei faktisch sozialdemokratisch (oder sonst was)? Was würden Bausewein und Gabriel sagen, wenn Ramelow ihnen abspräche, typische Sozialdemokraten zu sein, und die SPD-Mitglieder als verkappte PDS-Kader bezeichnete? Und wäre die Frankfurter Rundschau geschmeichelt, wenn sie als Abklatsch der FAZ hingestellt würde?
Wer auf solche Weise versucht, das Volk für dumm zu verkaufen, läuft immer Gefahr, sich selbst als dumm zu entlarven: Indem sie behaupten, die PDS sei etwas anderes als die PDS, gestehen Gabriel & Co. indirekt ein, dass die PDS eigentlich etwas Dubioses, Anrüchiges, gar Gefährliches ist.
Ach, die armen PDSler, was haben sie nicht auszustehen, wie winden sie sich innerlich vor Qualen: Müssen sich von ihren ergebenen Hofschranzen als Pseudo-Linke und Sozialdemokraten, gar als rechte verunglimpfen lassen und dürfen nicht widersprechen. Es ist ja gut gemeint von SPD und Grünen, dass sie sich so ins Zeug legen, um dem Volk ein X für ein U vorzumachen, aber sie sollten doch ein bisschen auf die zarten Seelen unserer Linksradikalen Rücksicht nehmen. Es fehlt nur noch, dass die PDS als Arbeitnehmerflügel der CDU bezeichnet wird. Aber wenn man das Volk übertölpeln will, muss man da durch, ohne zu murren. Sogar Gregor Gysi, das Schachtelmännchen der PDS, scheint inzwischen kapiert zu haben, dass all die wohlfeilen Rütlischwüre zum Unrechtsstaat und die Phrasen der PDS-Verniedlichung bloße Lippenbekenntnisse, nur taktisches Geheuchel mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern sind, und hält sich zielführend zurück.
Eigentlich hätten Ramelow und Genossen aufgrund solcher, fast die Straftatbestände der Beleidigung und Verleumdung erfüllenden Äußerungen wie HB-Männchen an die Decke gehen und die Koalitionsgespräche abbrechen müssen. Aber nichts dergleichen, sie schlucken diese Kröten tapfer runter, um bloß nicht die Machtübernahme zu gefährden - abgerechnet wird später.
Göring-Eckardt hält die Thüringer PDS für akzeptabel, aber „im Bund ist die Linkspartei von einer Regierungsfähigkeit noch weit entfernt“. Warum denn - befindet sie sich nach 25 Jahren immer noch in der Probezeit? Natürlich nicht, sondern weil sie nach 25 Jahren - selbstverständlich - immer noch dubios und anrüchig ist und sie nicht für, sondern gegen Deutschland arbeiten würde. Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, findet eine PDS-geführte Landesregierung unproblematisch, denn „in Thüringen geht es nicht um Krieg und Frieden, auch nicht um Europapolitik“. Wenn es in Thüringen nicht um Europapolitik geht, kann die SPD ja auch mit der AfD koalieren; wenn es nicht um Krieg und Frieden geht, auch mit der NPD. Yasmin Fahimi, Bundesgeschäftsführerin der SPD, sieht das genauso: PDS in Thüringen super, im Bund weniger, denn hier es gehe um die Frage, „wie man sich die weitere europäische Einigung vorstellt und ob die Linkspartei dabei bleibt, Deutschland international isolieren zu wollen“.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da sagen diese SPD- und Grünen-Oberen kaltlächelnd, dass die PDS hinsichtlich Militäreinsätzen, Europäischer Union und internationaler Beziehungen und Verpflichtungen gegen die Interessen Deutschlands arbeiten würde, dass aber dennoch nichts dagegen spricht, wenn diese Partei eine Landesregierung anführt. Wahrscheinlich kommen die Drei sich dabei auch noch wer weiß wie megaschlau und verantwortungsvoll vor. Entweder eine Partei ist vertrauenswürdig, oder sie ist es nicht, entweder sie ist bereit, für die Interessen Deutschlands zu arbeiten, oder sie ist es nicht. Ist sie es nicht, dann darf sie niemals in eine öffentliche Position, angefangen beim kleinsten Ortsbeirat, gelangen. Die Sichtweise von Göring-Eckardt, Fahimi und Stegner ist so, als hätte ein Betrieb einen Mitarbeiter, der als notorischer Kleptomane berüchtigt ist und obendrein ein etwas unangemessenes Verhalten gegenüber Mitarbeiterinnen an den Tag legt. Dennoch möchte man ihn nicht missen und möchte ihn unbedingt als Mitarbeiter behalten. Er wird lediglich auf eine Tätigkeit beschränkt, bei der er nichts klauen kann und nur mit Männern zusammenarbeitet. Aber natürlich lauert er nur auf eine günstige Gelegenheit, doch mal in die Kasse und sonst wohin zu grapschen, und irgendwann wird es ihm unvermeidlich gelingen.
Göring-Eckardt strickt die sattsam bekannte Masche weiter: Die Koalition sei ein „Bündnis der Grünen mit zwei faktisch sozialdemokratischen Partnern“. Dass die SPD faktisch sozialdemokratisch sei, ist eigentlich nicht sonderlich überraschend, aber die ist mit dieser verklemmten Äußerung auch gar nicht gemeint, sondern: PDS lieb! Es ist überaus amüsant (und ein klein wenig Genugtuung), SPD und Grüne in ihrer Rechtfertigungsnot zappeln zu sehen. Des Weiteren begründet Göring-Eckardt das Erfordernis und die Zulässigkeit der Koalition durch den Hinweis, mit der CDU habe in Thüringen bisher eine frühere DDR-Blockpartei regiert. Demnach wäre es also verwerflicher, eine ehemalige Blockpartei zu sein als die umbenannte SED. Diese meine hämische Sichtweise geht jedoch gänzlich fehl. Göring-Eckardt ist nämlich klug genug, zwei solch eigentlich saudämliche Bemerkungen, die im Normalfall zeigen, dass sie argumentativ mit leeren Händen dasteht, nicht völlig grundlos in die Welt zu setzen. Vielmehr deutet sie damit bereits an, was eigentlich erst nach der Machtübernahme an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Ich bin jedoch - wie immer - bereits bestens im Bilde, denn mir ist der Entwurf des Abschlussberichts der Gemeinsamen Historischen Forschungskommission von PDS, SPD und Grünen zugespielt worden.
Daraus geht zweifelsfrei hervor, dass der Unrechtsstaat DDR in Wahrheit von der Ost-CDU gesteuert wurde, die wiederum nur Handlangerin der kapitalistischen Kreise der BRD war: Nach 1945 galt es zuerst, die Vorhut der unterdrückten werktätigen Massen aus dem Weg zu räumen - die KPD. Dies geschah, indem die CDU sie 1946 zwang, sich mit der SPD zur SED zu „vereinigen“ - eine reine Schauveranstaltung ausschließlich zu dem Zweck, die KPD faktisch zu eliminieren. Die Macht in der neuen Partei hatten natürlich allein die Sozis, weshalb die SED von Anbeginn eine faktisch sozialdemokratische Partei war. Im Nachhinein fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Ist irgendjemandem in 68 Jahren schon mal aufgegangen (selbst mir nicht, der ich ja eigentlich der Oberschläueste bin), was SED in Langform heißt? Sozialdemokratische Einheitspartei Deutschlands. Noch Fragen? Die SED wurde von der CDU bis 1989 als Strohmann und Sündenbock vorgeschickt, um die Drecksarbeit zu machen, die ihr die CDU aus dem Hintergrund befahl. Und wozu das Ganze? Leute, seid ihr denn total vernagelt, muss ich euch denn alles vorkauen? Um billige Arbeitssklaven für die westdeutschen Großkonzerne unterjochen und ausbeuten zu können: Quelle und Co. ließen zahllose Zwangsarbeiter (also sämtliche Einwohner von 16 bis 65) für sich schuften und verdienten sich damit goldene Nasen. Die guten Waren wurden in der BRD teuer verkauft, der Schrott blieb für die DDR. Aber alles Unrecht rächt sich irgendwann. Was nämlich niemand ahnte:
Seit Jahrzehnten hatte eine geheime Gruppe leidenschaftlich überzeugter Demokraten (u. a. Gregor Gysi, Lothar Bisky und Günter Schabowski) die SED planmäßig infiltriert und unterwandert, um zielgerichtet auf den großen Tag X hinzuarbeiten. Im Sommer 1989 war es endlich so weit: Die Parteiguerilla gab das lang ersehnte Signal zum Aufstand und stellte sich an die Spitze der Revolution. Im Oktober wurde der der CDU treu ergebene Erich Honecker weggeputscht, und Egon „Ché“ Krenz, charismatischer Máximo Líder der Untergrundbewegung, Lichtgestalt und Hoffnungsträger aller nach Freiheit Dürstenden, übernahm das Ruder. Im taktisch günstigen Augenblick, als der allmächtige Pate Don Pera Kohleone sich im Ausland aufhielt, inszenierte Schabowski mithilfe eines bestochenen, angeblich italienischen Journalisten (mit auffällig deutschem Namen) die legendäre Pressekonferenz am Abend des 9. November, und das Tor zum Himmlischen Frieden auf Erden war aufgestoßen! Die CDU wurde von den Ereignissen schlichtweg überrollt. Der für seine Brutalität berüchtigte Kohleone versuchte, mit aller Gewalt auszusitzen, was noch auszusitzen war, aber zu spät. Wirklich? Mitnichten: Nach kurzer Verschnaufpause erhob die Konterevolution ihr Haupt, und den revanchistischen Kräften gelang es mühelos, bereits 1990 in Thüringen ein CDU-Terrorregime zu installieren, das nun nach 24 langen Jahren endlich hinweggefegt worden ist. Der 5. Dezember 2014 wird in die Geschichte eingehen und Vorbild und Ermutigung sein für alle unterdrückten Völker dieser Erde: Tag der Befreiung!
Was ist der Mensch (der linke)?
Glaubt man Fahimi & Co., so sind zwar die PDSler im Bundestag allesamt unberechenbare Bösewichter, aber diejenigen im Thüringer Landtag sind durchweg kuschelige Bravlinge, die man am liebsten ununterbrochen knuddeln möchte. Wie ist diese drastische Ausprägung der Biodiversität zu erklären? Unterscheiden sich Bundestags- und Landtagsabgeordnete anderer Parteien ebenfalls dermaßen extrem? Eigentlich nicht, sondern die sind irgendwie alle einer wie der andere. Dies kann nur bedeuten: Hier ist eine anthropologische Jahrtausendsensation zutage getreten. Neben dem Homo sapiens existiert offenbar eine weitere Art der Gattung Homo, vielleicht die Nachkommen des auf rätselhafte Weise verschwunden geglaubten Neandertalers, die sich als geschlossene Population in der PDS zusammenrotten: Homo sinister, der in 2 Unterarten vorkommt: einerseits der verwilderte Homo sinister germanicus foederalis radicalensis, der alles um sich herum vollkotet und in Stücke reißt; andererseits der domestizierte Homo sinister thuringensis sozius dexter, der als Haustier gehalten werden kann.
In ihrer Rechtfertigungsnot und unter dem Druck, die PDS verharmlosen zu müssen, schreckt die SPD vor keiner Albernheit zurück. So weist Andreas Bausewein mit indigniert-tadelndem Unterton darauf hin, es sei „geflissentlich übersehen“ worden, dass unter den 4 PDS-Funktionären, die an den Sondierungsgesprächen teilnehmen, nur ein einziges ehemaliges SED-Mitglied gewesen sei - ja und? Niemand erwartet, dass die PDS ausschließlich Rentner ins Rennen schickt. Nach diesem Schema könnte man auch die NPD reinwaschen, denn kein einziges ihrer Mitglieder war NSDAP-Mitglied - ja und? Was will uns Zahlenmystiker Bausewein mit seiner Milchmädchenrechnung sagen? Dass nur ein Viertel der Thüringer PDS-Mitglieder Diktatur und Planwirtschaft anstreben? Oder dass dies zwar alle tun, ihnen aber 25 % ausreichen und sie 75 % Demokratie und Marktwirtschaft zulassen? Fragen über Fragen, auf die wir niemals eine Antwort erhalten werden, denn natürlich weiß er selbst nicht, was er mit seinem Geplappere eigentlich aussagen will. In seiner Naivität redet er sich um Kopf und Kragen und schießt ein fulminantes Eigentor: Durch seine Äußerung gibt er indirekt zu, dass eine frühere SED-Mitgliedschaft etwas Dubioses, Anrüchiges, Verwerfliches ist. Wäre dies nicht der Fall, brauchte er es nicht zu erwähnen. Er weist ja auch nicht darauf hin, wie viele Mitglieder der PDS-Gruppe Schuhgröße 43 haben oder gern Erdbeerkonfitüre aufs Brötchen streichen.
Schauen wir uns die 4 PDS-Sondierer mal genauer an: Steffen Dittes ist erst 41. Susanne Hennig-Wellsow ist erst 37. Die 55-jährige Birgit Keller (die aussieht wie eine Kreuzung aus Dolly Parton und Margot Honecker) ist das bewusste SED-Mitglied. Bodo Ramelow (58) wuchs in der Bundesrepublik auf. Von den 3 Unbelasteten kann man als sicher annehmen, dass sie SED-Mitglieder gewesen wären, wenn Sie als Erwachsene in der DDR gelebt hätten.
Bausewein will suggerieren, dass ein Mitglied einer Partei nichts mit dem früheren Handeln dieser Partei zu tun hat, wenn es selbst nicht schon damals Mitglied war. Kein heutiges SPD-Mitglied war es schon 1933. Identifiziert sich deshalb kein SPD-Mitglied mehr damit, dass die SPD am 23.03.1933 nicht dem Ermächtigungsgesetz zur „Behebung der Not von Volk und Reich“ zustimmte, wodurch die NSDAP die Grundlage der Diktatur schaffte? Sind die SPD-Mitglieder nicht stolz darauf? Können sich mittelalterliche SPD-Mitglieder nicht mit Willy Brandts Ostpolitik identifizieren, junge SPD- und Grünenmitglieder nicht mit Gerhard Schröders und Joschka Fischers Weigerung, Deutschland am Irakkrieg teilnehmen zu lassen?
Man kann sowohl aktuell als auch in der Rückschau bestimmte Haltungen und Handlungen der eigenen Partei zu bestimmten Einzelthemen (Einführung der Katzensteuer u. dgl.) ablehnen. Im Großen und Ganzen, was das Grundlegende angeht, identifiziert man sich aber mit der eigenen Partei. Die Diktatur war für die SED aber kein Einzelthema, kein Nebenthema in peripheren Randbereichen, sondern sie war die Grundlage der SED, war ihr einziger Sinn und Zweck. Ein SPD-Mitglied kann sagen, die SPD könnte sowohl für als auch gegen die Einführung der Katzensteuer sein, das kann sie so oder so sehen, aber die SPD würde, unabhängig davon, welche Entscheidung sie trifft, immer die SPD sein. Ein SPD-Mitglied kann sich von der offiziellen Haltung der SPD zur Katzensteuerfrage distanzieren, ohne unglaubwürdig oder dumm oder verlogen und heuchlerisch zu sein. Die SED aber hätte sich nicht gegen die Diktatur entscheiden und trotzdem die SED bleiben können, sondern die SED war die Diktatur, und die Diktatur war die SED. Niemand kann im Ernst behaupten, die SED wäre auch ohne Diktatur denkbar und möglich gewesen, so wie die SPD sowohl mit als auch ohne Katzensteuer denkbar und möglich wäre, ohne ihre grundlegende Identität zu verlieren. Ohne Diktatur hätte es die SED nicht gegeben (und umgekehrt), ohne Diktatur wäre die SED schlichtweg sinnlos und überflüssig gewesen. Wer sich also heute als Mitglied der multipel umbenannten SED (die wiederum nur die umbenannte Ost-KPD war) von der SED-Diktatur distanziert und behauptet, so etwas für die Zukunft nicht zu beabsichtigen, ist entweder infolge heilloser Naivität in der falschen Partei gestrandet oder ein perfider Lügner und Heuchler.
Warum wurde man denn nach dem 9. November 1989 neues PDS-Mitglied, warum trat man als altes SED-Mitglied nicht sofort aus, wenn man mit Diktatur und Planwirtschaft absolut nichts am Hut hat, wenn man die SED-Diktatur von vornherein und ohne die geringste Einschränkung (obwohl die DDR nicht nur das Paradies der Werktätigen, sondern obendrein der Kita-Kinder war) ablehnt und sich davon distanziert und für die Zukunft dergleichen nicht beabsichtigt? Warum belastet man sich denn völlig unnötigerweise mit diesem abstoßenden Erbe, wenn man damit nichts zu tun hat? Warum setzt man sich grundlos permanent dem begründeten Verdacht aus, Gesinnungsgenosse des alten SED-Abschaums zu sein? Warum tritt man in den ehemaligen Kampfhundezüchterverein ein oder bleibt darin, wenn man dessen früheres Handeln völlig ablehnt und künftig stattdessen Gänseblümchen anbauen möchte?
Im Übrigen darf geflissentlich nicht übersehen werden, dass von den 4 PDS-Ministern der neuen Landesregierung nur einer nicht SED-Mitglied war (er ist erst 38).
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Für Ralf Stegner entscheidet die Thüringer Koalition geradezu über Sein oder Nichtsein der SPD: „Es ist gut, dass wir Alternativen haben und uns nicht in eine babylonische Gefangenschaft zur Union begeben.“ Es ist immer wieder putzig zu sehen, wie gleichermaßen unverfroren und unbedarft Berufspolitiker und Machtparteien sich als solche offenbaren. Hallo, Herr Stegner, ob die SPD Alternativen hat oder nicht, ob die SPD, das arme kleine Hascherl, sich in chinesischer Gefangenschaft befindet oder in Babylon fällt ein Sack Hirse um, ist das Unwichtigste überhaupt. Die SPD ist völlig belanglos, Thüringen und Deutschland sind wichtig. Eine Partei hat gefälligst für das Land zu arbeiten, statt nach dem Grundsatz zu handeln „Hauptsache, mir geht‘s gut!“. Es kommt darauf an, ob eine PDS-geführte Regierung für Thüringen und Deutschland eine sinnvolle, aussichtsreiche, verantwortbare Alternative ist, nicht aber für die SPD. Die sollte sich vorsehen, nicht in sibirische Gefangenschaft zu geraten. Und im Übrigen: Weshalb droht denn der SPD die „babylonische Gefangenschaft“ - weil sie sich selbst ins Abseits bewegt und daher nicht mehr genügend Stimmen bekommt. Die blöden Wähler sind also schuld. Da muss die SPD sich eben gegen das dreiste Wahlvolk wehren und mit der PDS koalieren: „Das habt ihr nun davon, dass ihr uns nicht genug gegeben habt!“ In bestimmten anderen Branchen nennt man so etwas Schutzgelderpressung.
Bundes-SPD und -Grüne dementieren zwar verdächtig häufig und eifrig, dass Thüringen ein Vorbild für den Bund nach der Wahl 2017 sei, PDS und CDU, in ungewohnter Eintracht, betrachten das aber ganz anders. Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mike Mohring (eingedenk der mahnenden Worte seines Altvorderen Kurt Georg Kiesinger: „Ich sage nur China, China, China!“) sieht eine Invasion am Horizont: „In Thüringen beginnt der lange Marsch der Linken auf das Kanzleramt in Berlin.“ Sofort schießt das SEK „Menschen- und Bürgerrechte“ zurück: „Mike Mohring kann nicht ernsthaft einen demokratischen Regierungswechsel auf eine Stufe mit der Gewalt-Eskalation im chinesischen Bürgerkrieg stellen“, entrüstet sich Susanne Hennig-Wellsow, Vorsitzende der Thüringer PDS, und fügt hinzu: „Das ist absurd und ahistorisch“ - denn China ist ein Unrechtsstaat, und da lässt die PDS nun mal nichts durchgehen. Hennig-Wellsows Großvorgänger Egon Krenz hatte 1989 zwar eine etwas andere Sichtweise, aber in diesen 25 Jahren hat die PDS sicherlich auch die chinesische Vergangenheit aufgearbeitet.
Die PDS hat laut ihrer Bundesvorsitzenden Katja Kipping bereits eine paramilitärische Strategie entwickelt: Zunächst will die PDS alle übrigen Bundesländer, für die die Thüringer Koalition selbstredend wegweisend ist, aufrollen und dort mit SPD und Grünen kollaborieren. Ziel bis 2017 sind möglichst viele Landesregierungen ohne CDU (was in Bayern ein Leichtes sein dürfte), um die Bundesregierung einzukesseln: Sobald die Nationale Front steht, wird „um das schwarze Kanzleramt ein roter Ring gelegt“ werden. Dieser Belagerungszustand soll dann wohl zur bedingungslosen Kapitulation des Merkel-Regimes führen. Bis Herbst 2017 finden zwar 10 Landtagswahlen statt (3 Ost, 7 West). In Westdeutschland, wo die PDS momentan mit Ach und Krach nur 4 Landtage kontaminiert (davon nur anderthalb Flächenländer) und die Zurückweisung durch die Bevölkerung noch ungleich verbreiteter und rigoroser ist, kann sie Regierungsbeteiligungen von vornherein vergessen. Sie mag sich Nachhilfe von der FDP geben lassen: Die ist immerhin in 6 westdeutschen Landtagen vertreten. Im Folgenden zur allgemeinen Erheiterung die Wahlergebnisse der PDS bei den jüngsten Landtagswahlen in Westdeutschland:
Land | % | vertreten |
Baden-Württemberg | 2,8 | nein |
Bayern | 2,1 | nein |
Bremen | 5,6 | ja |
Hamburg | 6,4 | ja |
Hessen | 5,2 | ja |
Niedersachsen | 3,1 | nein |
Nordrhein-Westfalen | 2,5 | nein |
Rheinland-Pfalz | 3,0 | nein |
Oskaarland | 16,1 | ja |
Schleswig-Holstein | 2,3 | nein |
Bleiben nur noch im Jahr 2016 die Wahlen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt - ein bisschen wenig für einen Ring. PDS in der Bundesregierung? Am Marsch!
Abschließend erlaube ich mir, der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass ab jetzt ein Ring um die Thüringer Staatskanzlei gelegt wird. Nicht schwarz, nicht rot - golden.
Stellen wir uns mal folgendes Szenario vor: Ehemalige Prostituierte werfen ihren früheren Zuhältern vor, erneut - nachdem die Branche 25 Jahre lang eine Konjunkturflaute erlebt hat - ins Geschäft einsteigen zu wollen. Die Zuhälter haben gute Kumpels: die Puffbetreiber, die sich - natürlich völlig uneigennützig - in die Bresche werfen und den Prostituierten entgegenhalten, dass diese sich doch zumindest halb-bereitwillig zur Verfügung gestellt und auch ein bisschen dabei verdient hatten und deshalb kein Recht hätten, die Zuhälter nun zu kritisieren. Wäre nicht schön, nicht wahr? Gibt's natürlich auch nicht.
Ralf Stegner nennt die Kritik der CDU an einer PDS-geführten Landesregierung scheinheilig: „Die CDU war in der DDR eine Blockpartei.“ Andreas Bausewein tritt nach: „Die CDU sollte sich mal genau anschauen, wie viele ihrer Fraktionsmitglieder alte Blockflöten sind. Sie hat Minister gestellt und war definitiv keine Oppositionspartei.“ Hierauf könnte man spaßeshalber entgegnen, dass Otto Grotewohl, Vorsitzender der ehemaligen Ost-SPD, von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der DDR war. „Oppositionspartei“ ist ein feststehender Begriff der parlamentarischen Demokratie und besagt lediglich, dass eine Partei es in einer Legislaturperiode nicht geschafft hat, Regierungspartei zu werden, sondern sich mit der Oppositionsrolle begnügen muss. Wollte man Bausewein ernst nehmen, müsste man seinen Vorwurf, die CDU sei keine Oppositionspartei gewesen (was ja nicht verwerflich wäre), als schieren Zynismus auffassen, da die DDR nun mal - was selbst Herrn Bausewein vage bekannt sein dürfte - keine parlamentarische Demokratie war. Tatsächlich ist Bauseweins Äußerung natürlich nur Geplappere. Vielleicht wirft er der CDU aber etwas anderes vor: Sie habe nicht als Partei gegen die SED-Diktatur opponiert, habe sich nicht offen gegen sie gestellt und habe keine führende Funktion in der Revolution übernommen. Dies wäre in der Tat sehr wünschenswert gewesen, umso mehr, als die Revolution zu einem wesentlichen Teil unter dem Schutz der Kirchen ihren Lauf nahm und daher die CDU als christliche Partei prädestiniert und berufen gewesen wäre.
Gleichermaßen wünschenswert wäre allerdings gewesen, wenn sich frühzeitig eine inoffizielle SPD gebildet und als Partei führend in der Revolution hervorgetan hätte. Die Gründung der zunächst so geheißenen SDP (Sozialdemokratische Partei in der DDR), eine Tat hohen Verantwortungsbewusstseins und persönlichen Muts der Beteiligten, erfolgte zwar bereits am 7. Oktober 1989, zu einem Zeitpunkt also, als das System schon deutlich destabilisiert war, Grenzöffnung und Diktatur-Untergang, zumal in der dann eingetretenen Schnelligkeit, aber noch längst nicht absehbar waren. Die SDP wurde jedoch nicht deutlich früher gegründet. Sie hätte die Solidarność der DDR sein können. Dies aber war nicht ansatzweise der Fall - Wolfgang Thierse war kein Lech Wałeşa (deshalb wurde er nicht Nr. 1 im Staate wie Wałeşa, sondern nur Nr. 2). Thierse, der der Partei erst im Januar 1990 beitrat, behauptet zwar, ohne die SDP wäre es nicht zum Mauerfall gekommen, aber das ist nicht belegt.
Nicht nur die Thüringer SPD (die ja nach eigenem Bekunden ohnehin am liebsten in die Opposition gegangen wäre und nur der Staatsnot, nicht dem eigenen Triebe gehorchend Regierungspartei geworden ist), sondern die gesamte SPD sollte es künftig besser machen als die DDR-CDU, indem sie nie wieder Minister stellt und für immer Oppositionspartei bleibt - definitiv.
Friedrich Schorlemmer, gewesener DDR-Bürger, SPD-Mitglied und Theologe, der seinen christlichen Missionsauftrag schwerpunktmäßig in der zur PDS gehörenden, im Gebäude des SED-/PDS-Zentralorgans „Neues Deutschland“ residierenden Rosa-Luxemburg-Stiftung erfüllt, haut in dieselbe Kerbe: „So manche, die in den Blockparteien auf der Schleimspur der SED rutschten, reißen nun ihren Mund weit auf.“ Das hat gesessen. Sein Hinweis auf die DDR-Vergangenheit der CDU will suggerieren, die Blockparteien seien eigenständig gewesen und hätten sich aus eigenem Willen der SED angedient. Tatsächlich aber wurden sie von der SED instrumentalisiert, einige sogar auf ihr Betreiben gegründet, und ihre Mitglieder, die sich unbegreiflicherweise dafür hergaben, wurden von der SED korrumpiert.
Gilt das von der SPD angeordnete Kritikverbot nur für die ostdeutschen CDU-Landesverbände, sodass die westdeutsche CDU sehr wohl die PDS kritisieren darf? Dürfen aber Mitglieder eines westdeutschen CDU-Landesverbandes, die gebürtige Ostdeutsche sind, doch nicht die PDS kritisieren? Und umgekehrt, dürfen vielleicht Mitglieder eines ostdeutschen CDU-Landesverbandes, die gebürtige Westdeutsche sind, sehr wohl die PDS kritisieren? Sind diese CDU-Mitglieder aber nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer als erfolgreich integriert zu betrachten, sodass sie als Ostdeutsche gelten (wie Genosse Bodo) und daher doch nicht die PDS kritisieren dürfen? In Betracht gezogen werden könnte, dass aber auch Mitglieder eines ostdeutschen CDU-Landesverbandes, die zwar gebürtige bzw. naturalisierte Ostdeutsche, gleichzeitig aber auch Mitglieder der Jungen Union sind, die PDS kritisieren dürfen, denn sie waren zu DDR-Zeiten noch nicht politisch aktiv, womöglich noch gar nicht geboren. Um hier Klarheit zu schaffen, hilft nur eines: Die SPD muss ein CDU-PDS-Kritikerlaubnis-Kataster aufstellen, am besten Web-basiert wie der Wahlomat, anhand dessen jedes CDU-Mitglied feststellen kann, ob es berechtigt ist, die PDS zu kritisieren.
Nebenbei bemerkt: Wer sagt, dass die SPD nicht auch gern Blockpartei gewesen wäre? Vielleicht hat sie Nachholbedarf und will deshalb mit der PDS koalieren - das ist doch nur gerecht. Ja, ich weiß: Die SED hätte die SPD niemals zugelassen. Aber wozu auch? Abstrakt betrachtet, existierte die SPD als Teil der SED. Diese war doch 1946 aus der Vereinigung von KPD und SPD hervorgegangen. Somit war die fiktive SPD ein Superblockflöten-Orchester, wohingegen die Blockparteien nur auf dem letzten Loch pfiffen. Das könnte die CDU doch mal der SPD vorhalten. Der fällt dann bestimmt auch wieder was ein usw. usw.
Den Eindruck zu erwecken, in der PDS gebe es Leute, die die Unterdrückung leugnen oder sogar wieder einführen wollen, hält Schorlemmer für „ganz und gar absurd“, gar „pathologisch“. Wer dies tue, könne auch gleich sagen: „Der Russe kommt!“ Womit er leider recht hat - er möge mal in der Ukraine nachfragen. Die PDS sei auch nicht die Nachfolgepartei der SED. Vielmehr gebe es darin viele Leute, die nach 1989 nirgendwo anders eine politische Heimat gefunden hätten (ach ja: z. B. ordentliche rechte Sozis) - die PDS als Kuschelnest für den Bund der politisch Heimatvertriebenen (die ihr Ostgebiet zurückhaben wollen?). Schorlemmer hat völlig Recht, wenn er verneint, was niemand behauptet hat: Die PDS ist in der Tat nicht die Nachfolgepartei der SED - sie ist die SED, lediglich zu Marketing-, sprich: Verdummungszwecken multipel umbenannt. Die PDS selbst weiß das am besten: Im April 2009 gab der damalige PDS-Bundesschatzmeister Karl Holluba vor dem Berliner Landgericht folgende eidesstattliche Versicherung ab: „Die Linke ist rechtsidentisch mit der Linkspartei.PDS, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“
Was viele schon ahnten, nun ist es raus: PDS-Kritiker sind pathologische Fälle, und die Epidemie greift mit rasender Geschwindigkeit um sich. Wer kümmert sich um die Behandlung dieser bemitleidenswerten seelischen Wracks? Bezahlt das die Krankenkasse? Gibt es Aussteigerprogramme? Es müssen schnellstmöglich psychiatrische Spezialkliniken eingerichtet werden, um diese volksschädlichen Abirrungen restlos zu kurieren, am besten in ruhigen, abgelegenen, möglichst kalten Gegenden, um die überhitzten Gemüter abzukühlen, ohne Kontakt zur Außenwelt, damit die Schwerkranken, unter intensiver Betreuung durch versierte, tatkräftig zupackende Fachkräfte, die auch die hartnäckigsten, therapieresistenten Fälle in den Griff kriegen, mal so richtig abschalten und ausspannen können, bis sie sich selbst nicht mehr wiedererkennen. Das könnte doch das erste große Projekt der neuen Thüringer Regierung sein: „Gesund und links - aber gern! (GULAG)“.
Dem psychosomatischen Sensibelchen Schorlemmer verursacht auch das „Freiheitspathos Bauchschmerzen, das über dem Gedenken an den Mauerfall liegt“. Die meisten DDR-Flüchtlinge hätten nur besser leben wollen, dafür sollte man aber nicht das Etikett „Freiheit“ verwenden. Hinsichtlich der ersten Hälfte seiner Aussage ist ihm vorbehaltlos zuzustimmen: Die Flüchtlinge wollten in der Tat ein besseres Leben: Sie wollten endlich in einem Staat leben mit unabhängigen Parteien, freien Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit, Reisefreiheit, ohne Bespitzelung, ohne Unterdrückung, ohne Tötung von „Republikflüchtlingen“. Dass dies nichts mit Freiheit zu tun habe, ist allerdings rätselhaft. Spaß beiseite: Es ist natürlich klar, was Schorlemmer mit „besser leben“ meint: Bananen bis zum Abwinken, Aldi leerräumen, sich dem Konsumterror ergeben, visafrei nach Hawaii statt ins FDGB-Ferienheim usw. Warum aber sagt er das denn nicht, warum verkriecht er sich hinter der Formulierung „besser leben“? Weil er zu feige ist, seine beleidigende Aussage in eindeutige Worte zu fassen. Nebenbei bemerkt: Nicht tagein, tagaus durch staatlich verursachte Mangelwirtschaft belastet zu sein, gehört auch zur Freiheit.
Schorlemmer spricht im selben Atemzug von den Flüchtlingen und vom Mauerfall. Zweifellos trug jeder Flüchtling seit Mai 1945 - die erfolgreichen, die geschnappten, die getöteten - ein Stückchen zur Demaskierung und Destabilisierung der Diktatur bei und erst recht die Tausenden, die ab Sommer 1989 flohen. Die Mauer und damit die SED-Diktatur zu Fall brachten aber vor allem die Daheimgebliebenen, die unentwegt zu Hunderttausenden demonstrierten, bis sie das SED-System in einen unumkehrbaren Zustand von Desorientierung, Fassungslosigkeit und Zerfall versetzt hatten, der slapstickartig in den legendären wirren Worten des Günter Schabowski in der Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 seinen Höhe- und Schlusspunkt fand - von da an ging‘s bergab mit der SED. Schlüssigerweise müsste Schorlemmer auch den Demonstranten den Wunsch nach Freiheit absprechen und ihnen unterstellen, lediglich das im Sinn gehabt zu haben, was er verkniffen als „besser leben“ bezeichnet. Auch dies aber traut er sich nicht. Das Gleiche müsste Schorlemmer auch den Menschen in den osteuropäischen Ländern sagen, die den dortigen Diktaturen den Untergang bereiteten. Das müsste er auch den mehr als Tausend Rumänen sagen, die im Verlauf der Revolution von den Schergen des Ceauşescu-Regimes getötet wurden: Dass sie nur für eine Rewe-Reklame starben.
Zu allem Überfluss betätigt sich Schorlemmer auch noch als Rechtsgelahrter, indem der bezweifelt, „ob das Diktum ‚Unrechtsstaat‘ überhaupt eine juristisch taugliche Bezeichnung ist“. Als wenn es darauf ankäme. Die Dikta „Diktatur“ und „Freiheit“ sind ebenfalls keine definierten Rechtsbegriffe - auch nicht „besser leben“.
Europa braucht Thüringen (und umgekehrt)
Endlich erhebt auch Angela Merkel ihre donnernde Stimme, um der SPD die Leviten zu lesen: Durch die PDS-geführte Koalition in Thüringen, die weitere in Ostdeutschland nach sich ziehen könne, riskiere die SPD eine europa- und bundespolitische Blockade, weil die PDS Abstimmungen im Bundesrat ungünstig beeinflussen werde. Regel Nr. 1 für Berufspolitiker: Einfach mal eine Behauptung in den Raum stellen und dann abwarten, ob jemand darauf reinfällt. Wenn ja, nachkarren; wenn nein, sofort unter den Tisch kehren. Hat man argumentativ nichts zu bieten, muss man als Ablenkungsmanöver vom Hundertsten zum Tausendsten kommen. Genau so erscheint Merkels Äußerung auf den ersten Blick: ein bisschen sehr bemüht und an den Haaren herbeigezogen. Die Retourkutsche kommt prompt von Yasmin Fahimi: Es sei natürlich „grober Unfug“, zu behaupten, die SPD würde durch die Thüringer Koalition eine außen- und sicherheitspolitische Gefahr produzieren. In Thüringen gehe es nicht um Europapolitik, sondern zum Beispiel um bessere Schulpolitik. Da hat sie völlig recht, aber Merkel spricht eben nicht von Thüringen, sondern vom Bundesrat, und dort wird nun mal nicht die Thüringer Schulpolitik verhandelt, sondern Bundesgesetze - Regel Nr. 1: siehe oben. Merkel soll mal froh sein, dass Fahimi ihr nicht noch ein Bußgeld reinwürgt, bis zu € 1.000,00, denn siehe Duden Recht A - Z, 2. Aufl. 2010: „Grober Unfug: Früher geltender Straftatbestand (§ 360 StGB alter Fassung), der nunmehr durch § 118 Ordnungswidrigkeitengesetz (‚Belästigung der Allgemeinheit‘ durch grob ungehörige Handlungen) als Ordnungswidrigkeit erfasst ist; Beispiele: öffentliches Urinieren, ‚Blitzen‘ (nackt laufen)“. Pfui Ferkel, Frau Merkel!
Ja, es geht bergab mit der politischen Kultur in Deutschland: Allenthalben wird nur grober Unfug in Form von Obszönitäten verübt, und obendrein kupfern alle voneinander ab. Ihre Warnung vor einer Einflussnahme im Bundesrat hat Merkel sich doch nicht selbst ausgedacht, sondern sie schmückt sich mit fremden Federn: Einige Tage vor der Thüringer Landtagswahl verlautbarte Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter der Grünen und ehemaliger Grünen-Bundesvorsitzender: Die Grünen wollen mittels einer Regierungsbeteiligung in Thüringen das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen stoppen. Falls seine Partei eine Koalition in Thüringen eingehe, würden die Landesregierungen mit Grünen-Beteiligung über 38 von 69 Stimmen im Bundesrat verfügen. Da in jedem Koalitionsvertrag festgelegt sei, dass ein „Ja“ nur mit Zustimmung aller Partner erfolgen könne, besäßen so die Grünen eine Blockademöglichkeit im Bundesrat. Also wirklich, Herr Bütikofer, wie kommen Sie denn auf so etwas, das ist doch grober Unfug!
Jetzt reicht es aber endgültig! Was bildet dieser Kerl sich eigentlich ein? Anstatt samten-säuselnde Sonntagsreden zu halten, allen wohl und keinem weh, wie es sich für einen braven Bundespräsidenten gehört, macht er nur Ärger und bringt andauernd unser harmoniesüchtiges Heile-Welt-Bild durcheinander. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er die NPD als Spinner und die AfD als populistisch bezeichnet hat. Merkels Entgleisung ist nur grober Unfug, aber wie er sich nun sogar erdreistet, in einem Fernsehinterview die über jeden Zweifel erhabene PDS abzukanzeln, das ist mindestens ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit: „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?“ Nur weil die PDS mal eben ein bisschen Diktatur anstrebt, darf er sie doch nicht gleich kritisieren, da muss er auch mal souverän über den Dingen stehen, statt Belanglosigkeiten aufzubauschen. Da hat die PDS aber wirklich recht, wenn sie darob verschnupft ist und übel nimmt. Ihr Wunsch-Präsident wäre stattdessen eine Mischung aus Paul von Hindenburg und Wilhelm Pieck.
„Herr Gauck hat wahrscheinlich nicht die Aufarbeitung verfolgt, die wir in den vergangenen 25 Jahren betrieben haben“, empört sich Susanne Hennig-Wellsow (die das mit ihren 37 Jahren besonders gut beurteilen kann). Wissend, dass kein vernünftiger Mensch der PDS glaubt, fügt sie sicherheitshalber, aber rührend selbstentlarvend hinzu: „und auch ernst nehmen“.
Ramelow ist „als Christ irritiert“, dass das Fernsehinterview vor einem Altar stattfand, obendrein mit brennenden Kerzen und - echt hammahart! - einem Kreuz darauf. Diesen TV-Fuzzis ist eben nichts heilig. Demnächst wird gar Dieter Bohlen in einem Gotteshaus rumkaspern - habemus Superstar. Ramelows Gardinenpredigt sagt jedoch nichts zum eigentlichen Thema (die mediale Kirchenschändung könnte er auch dann übel nehmen, wenn Gauck sich zur Einführung der Katzensteuer geäußert hätte). Dann aber beginnt Bodo, der Zorn Gottes, in Rätseln zu sprechen - ist der Geist über ihn gekommen? „Meine Miteigenschaft als Christ einfach negiert wird.“ Was will er uns mit diesem Gleichnis sagen? Vielleicht dass er nicht sonderlich grammatikfest ist. Oder dass der Christ Gauck seinen Glaubensbruder Ramelow (von dem aber gar nicht die Rede war, was ihn wohl am meisten kränkt) und dessen Politsekte nicht kritisieren darf. Oder dass überhaupt niemand Kritik üben darf, weil Ramelow sich als Gottes unfehlbaren Stellvertreter auf Erden betrachtet und die PDS als die Gemeinschaft der Heiligen.
Ramelow bekommt geistlichen Beistand von Friedrich Schorlemmer: Gauck habe die Grenzen seines Amtes überschritten und schüre diffuse Ängste, die Kommunisten könnten wiederkommen. Wir sind bescheiden: Der Sozialismus nach Hausmacherart reicht schon, und für gehobene Ansprüche gibt es ja die Kommunistische Plattform. Es habe nur noch gefehlt, dass Gauck gesagt hätte, der Russe kommt bald wieder (na, mit den Russen hat er es aber, der Herr Schorlemmer). Gaucklein, Gaucklein, du gehst einen schweren Gang. Wird er, nun da ihn die Recht-, pardon: Linksgläubigen mit einer Fatwa belegt haben, von Schorlemmer (wohnhaft: Lutherstraße 17, 06886 Lutherstadt Wittenberg) auf die Wartburg verbannt, wo er „Das Kapital“ ins Altgriechische übersetzen muss? - Ramelow ist groß, und Schorlemmer ist sein Prophet!
Zu der von Schorlemmer diagnostizierten PDS-induzierten Kommunistenphobie sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass Ramelow in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts der DKP sehr nahestand: Er unterzeichnete 1985 einen Aufruf zur Wahl der DKP ins Marburger Stadtparlament und veröffentlichte die Anzeigen seiner ersten Heirat und der Geburt seines ersten Sohns in der Zeitung „Unsere Zeit“ (das ist der Bayernkurier der DKP). Alles olle Kamellen? Kann sein, kann auch nicht sein: Im August 2014 erklärt Ramelow: „Ich achte Kommunisten.“ Im November fordert er, die 1956 in der alten Bundesrepublik verbotene KPD solle wieder zugelassen werden - zweifellos eines der vordringlichsten Themen, mit denen sich ein designierter Thüringer Ministerpräsident zu befassen hat.
Der öffentliche Dienst geht auch zusehends den Bach runter. Vor allem die Verpflichtung seiner Mitarbeiter zu politischer Neutralität im Amt lässt sehr zu wünschen übrig (siehe Fall Gauck). Da ist die staatstragende PDS als Erste aufgerufen, einzugreifen, um die schlimmsten Auswüchse zu unterbinden, denn sie weiß am besten, wie essenziell es für ein störungsfrei funktionierendes Gemeinwesen ist, die Staatsdiener an der Kandare zu halten - schließlich bestand der gesamte SED-Staat aus öffentlichem Dienst. Vorliegend hat sich Dieter Bauhaus, Präsident der Erfurter Industrie- und Handelskammer und der CDU nahestehend, erdreistet, vor einer PDS-geführten Regierung zu warnen - nicht als Privatperson, sondern in seiner Eigenschaft als Chef der IHK K.d.ö.R. Prompt wird er verpetzt, und zwar von Sandro Witt, bis Anfang 2014 Vize-Vorsitzender der PDS Thüringen und seitdem Vize-Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen (na, das ist doch mal eine gradlinige, konsequente Berufslaufbahn - Transmission possible). Witt schreibt - nicht als Privatperson, sondern in seiner Eigenschaft als offizieller Mitarbeiter des unabhängigen und freien Deutschen Gewerkschaftsbundes - an Bauhaus' Aufsichtsbehörde, das SPD-geführte Thüringer Wirtschaftsministerium: „Im Namen des DGB in Thüringen darf ich Sie freundlich bitten, nachdrücklich im Rahmen der Rechtsaufsicht dieser unzulässigen allgemeinpolitischen Einmischung der IHK Erfurt einen Riegel vorzuschieben.“ Wie schon Schorlemmer hat nämlich auch Witt erkannt, dass PDS-Kritiker allesamt pathologische Fälle sind, reif für die Klapsmühle: Bauhaus' Äußerung sei „politischer Irrsinn“, weshalb er seinen Hut nehmen müsse. Recht so, diese geisteskranken Perversen dürfen nicht nur nicht Auto fahren (siehe Putinland), sondern müssen auch aus dem Staatsdienst eliminiert werden. Deutschland braucht einen radikalen Beknackten-Erlass. Hätte Witt Bauhaus aber auch dann angeschwärzt, wenn dieser die bevorstehende Koalition in höchsten Tönen gelobt hätte? Wäre es verwerflich gewesen, wenn ein der SPD nahestehender IHK-Präsident 1933 vor der NSDAP gewarnt hätte, und wäre es akzeptabel gewesen, wenn ein der DNVP angehörender Wirtschaftsminister ihm dies untersagt hätte? Natürlich nicht. Hat Witt also nur aus durchsichtigen, parteipolitischen Gründen gehandelt und sich dadurch der Unterdrückung der Meinungsfreiheit schuldig gemacht? Bewahre - Freiheit in jeder Hinsicht ist doch der PDS vornehmstes Ziel. Deshalb will sie z. B. den Verfassungsschutz abschaffen, denn, so Hennig-Wellsow: „Wir wollen langfristig eine geheimdienstfreie Gesellschaft.“ Na, bitte. Und eine meinungsfreie.
Trotz aller mehr oder minder harschen Kritik an der PDS sind ihre Wähler absolut tabu. Spätestens seit Edmund Stoiber sich im Jahr 2005 mit seiner Bemerkung „Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“ pfundige Watschen einhandelte, dürfen PDS-Wähler, vor allem natürlich die ostdeutschen, nicht mehr kritisiert werden. Deshalb betonen selbst Thüringer CDU-Funktionäre im Wege des vorauseilenden Gehorsams, dass sie selbstverfreilich nichts gegen die PDS-Wähler einzuwenden haben. Die Bösen sind allein die PDS-Funktionäre, die zwar ohne ihre Wähler völlig bedeutungslos wären, aber das spielt anscheinend keine Rolle. Der reflexhafte Verzicht darauf, neben dem Reiter auch das Ross zu nennen, kann nur zweierlei bedeuten: Entweder wird den PDS-Wählern zugebilligt, dass sie sich anmaßen dürfen, außerhalb jeglicher Verantwortung und jeglichen Anstands zu handeln. Oder es wird ihnen unterstellt, sie wüssten nicht, was sie tun, sie seien unzurechnungsfähig und schuldunfähig. Auch unser Bundespräsident schickt seinem Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der PDS den ritualhaften Kotau voraus: „Wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen.“ Weshalb ist es zu respektieren, wenn Leute eine antidemokratische Partei wählen, die seit 25 Jahren das politische System Deutschlands faktisch und atmosphärisch verseucht? War es zu respektieren, dass am 5. März 1933 43,9 % der Wähler für die NSDAP stimmten? Ist es zu respektieren, wenn das Volk grölt: „Kreuzige ihn!“?
So wird die Demokratie als Alibi und Rechtfertigung für alles und jedes missbraucht: Die sakrosankten PDS-Wähler exkulpieren sich dadurch mit leichter Hand, und der Rest der Menschheit verschanzt sich dahinter, um zu tolerieren und zu respektieren bis zum Erbrechen. Aber niemand kann sich rausreden. Das ist eben der gravierende Nachteil der Demokratie: Niemand trägt keine Verantwortung, niemand ist gänzlich ohne Schuld an antidemokratischen Entwicklungen - auch ich nicht, der zur Bekämpfung der PDS und ihrer Helfershelfer von SPD und Grünen bislang nichts weiter tut, als Satiren zu schreiben.
„Mir kann man doch nicht erzählen, dass eine Wahl ein Gottesurteil ist, wenn man die deutsche Geschichte kennt“, hält Wolf Biermann am 7. November im Bundestag den PDS-Abgeordneten entgegen, die ihre Daseinsberechtigung natürlich damit begründen, dass sie ja demokratisch gewählt seien. Kein Wähler hat das Recht, auf demokratischem Wege Demokratie und Rechtsstaat abzuschaffen oder auch nur zu beschädigen. Deshalb ist es keineswegs hinnehmbar, dass die PDS-Wähler die umbenannte SED in die Parlamente und seit 1998 in ostdeutsche Landesregierungen hieven und nun den ersten ostdeutschen PDS-Ministerpräsidenten küren. Das muss und darf man nicht respektieren. Diese Art Respekt ist hinter theatralischer Pose versteckte leisetreterische Verantwortungslosigkeit.
Abschließend möchte ich es selbstverständlich nicht verabsäumen, mich pflichteifrig von Stoiber Edmunds Äußerung zu distanzieren: PDS-Wähler sind keine dummen Kälber. Sondern hirnlose Hornochsen.
Vertrauen ist gut, Misstrauen ist besser
Andreas Bausewein ist ein ganz Schlauer. Er hat nämlich herausgefunden, dass es „in Teilen der Bevölkerung Misstrauen gegenüber einem linken Ministerpräsidenten gibt“. Das ist fein beobachtet. Ja, das törichte Volk, es weiß eben nicht, was ihm frommt. Aber keine Sorge, der gütige Herr Bausewein wird‘s schon richten: Er und seinesgleichen sind wild entschlossen, alles zu tun, um dieses Misstrauen „abzubauen“, im Klartext: die Ablehnenden sollen durch Zeitablauf sanft resignieren, kapitulieren und klein beigeben. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern es dauert halt ein wenig, bis das Volk einsieht, wie einfältig und unreif es bislang gewesen ist. 2 bis 3 Jahre hat Bausewein großzügig projektiert, dann wird das Misstrauen (das seit 25 Jahren gegenüber der PDS besteht) endlich ein für allemal abgebaut sein, sicherlich nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit. Solche Geduld will die härter gesottene Yasmin Fahimi nicht aufbringen, die - genervt von so vielen störenden, abweichenden Meinungsäußerungen - verlautbart, sie erwarte, „dass sich die momentanen Aufgeregtheiten“ legen, wenn die Regierungsarbeit starte, im Klartext: Klappe halten und Hacken zusammenknallen! Hallo, Frau Fahimi, dann geht es doch erst richtig los! Die beiden klingen wie Obristen einer Putschistenjunta, die dem Volk, da es ohnehin nicht mitzureden hat, den wohlgemeinten Rat erteilen, sich von vornherein jeglicher Mätzchen zu enthalten und sich stattdessen tunlichst ins Unabänderliche zu schicken.
Statt, wie seine Chefin Fahimi, kurzerhand Ruhe im Land anzuordnen, erweist Bausewein sich als wahrer Menschenversteher. Deshalb veranstaltet er eine „Basiskonferenz“, um dem SPD-Parteivolk die Koalition mit der PDS zu empfehlen. Als ungehörigerweise einige - viel zu wenige - SPD-Mitglieder vehement Widerspruch erheben, flötet Bausewein: „Ich respektiere die Meinung anderer.“ Boah geil ey, hier spricht der Großmeister in Toleranz. Wie sähe es denn aus, wenn er nicht belieben würde, sich herabzulassen und die grenzenlose Güte zu haben, anderer Leute Meinung zu respektieren? Ach ja, der Herr Bausewein, das ist schon eine Marke: Als die Thüringer Allgemeine (Erfurt) ihn ironisch fragt, ob unter einem Ministerpräsidenten Ramelow Erfurt Landeshauptstadt bleibe oder wieder Bezirkshauptstadt werde, kapiert er die Anspielung nicht, sondern referiert bierernst über die künftige Gebietsreform. Aber ich will ihm noch eine Chance geben, diese Scharte auszuwetzen: Herr Bausewein, wird Thüringen nach dem Regierungswechsel umbenannt, z. B. in VEB (Volkseigenes Bundesland) oder PDS (Pseudodemokratisches Sonderwirtschaftsgebiet) oder SBZ (Sozialistische Besatzungszone)?
2009 scheiterte die Bildung einer PDS-SPD-Grünen-Koalition noch an der Ablehnung des Unrechtsstaat-Texts durch die PDS. Nun ist die PDS-Führung plötzlich Feuer und Flamme und verteidigt die Selbstbezichtigung mit ihrem Herzblut, inbrünstig wie mittelalterliche Flagellanten. Warum? Weil die PDS in diesen 5 Jahren so viel dazugelernt hat? Natürlich nicht, sondern weil sie erkannt hat, dass ihr die Zeit davonläuft, dass sie nicht noch einmal 5 Jahre warten darf in der Hoffnung, dass die Grünen dann nicht mehr als Auffüllmasse gebraucht werden (der SPD ist dieser Text piepegal; sicherlich verflucht sie im Stillen die Grünen mit ihrem Gutmenschen-Getue, das nur Probleme bereitet). Jetzt, nicht irgendwann, muss die PDS die Tür aufstoßen, nun endlich muss die Konterrevolution ihr Medusenhaupt erheben. Aber sie darf natürlich nicht eingestehen, dass diese 6 Grünen-Hanseln die PDS - fast besinnungslos und kaum noch der Selbststeuerung fähig vor ungestillter, in 25 bitteren Jahren aufgestauter Machtgier - vor sich hertreiben und in eine Sackgasse drängen können. Also muss die PDS-Führung nun spontan die Flucht nach vorn antreten und beste Miene zum grünen Spiel machen. Dermaßen übertrieben vehement und scheinbar aus tiefster Seele überzeugt kämpft die PDS-Führung wie die Löwen um diesen Text, dass man meinen könnte, er wäre auf ihrem ureigensten Mist gewachsen, ihr lang ersehnter Herzenswunsch, ihr Baby, ihr Ein und Alles, als würde sie selbst auf keinen Fall eine Koalition eingehen ohne diesen Text. Die PDS-Führung sollte sich in Acht nehmen, dass sie keine Urheberechtsklage von den Grünen an den Hals bekommt.
Durch diesen Text wird nichts besser, er verpflichtet die PDS zu nichts, ist unverbindlich, nicht einklagbar - weil nicht objektivierbar -, wenn sie sich nicht daran hält. Sie hat sich von den Grünen einen Ablasszettel aufschwatzen lassen, kostet ein paar Silberlinge, Schwamm drüber, ein bisschen Verlust ist immer, und aufs große Ganze gesehen, sind das nur Erdnüssleinchen. Die Grünen aber gockeln herum als die Superhelden, die Rächer der Enterbten, Witwen und Waisen. Tatsächlich aber betrügen sie die Bevölkerung durch diesen Text mehr und verkaufen sie mehr für dumm als PDS und SPD, die am liebsten gradlinig ohne viel Aufhebens koalieren würden. Dieser Text dient allein dazu, den Grünen ein billiges gutes Gewissen zu verschaffen.
Letztlich vergeben sich die PDSler damit doch nichts: In dem Text steht lediglich, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, aber nicht, dass die PDS, als sie noch SED hieß, dafür verantwortlich war und dies für kompromisslos verwerflich hält und unter keinen Umständen wieder tun wird. Eine Bande von Zuhältern und Heroinhändlern würde auch niemals behaupten, dass ihr Tun für den Rest der Menschheit human und segensreich sei. Im Zweifelsfalle würden sie mit Krokodilsträne im Knopfloch zugestehen, dass ihr Tun - aus Sicht ihrer Opfer - eigentlich Unrecht ist. Aber sie werden nicht davon ablassen, sondern sie werden es dennoch weiterhin tun, weil es ihnen Profit einbringt - Unrecht hin oder her. Gleiches gilt für Wohnungsvermieter samt Rechtsvertretern, die ihre Mieter ausplündern und unter Druck setzen, für Steuerhinterzieher und sonstige honorige Stützen der Gesellschaft. Die Aussage, dass etwas Bestimmtes Unrecht war, ist völlig nichtssagend und wertlos, wenn die Aussagenden selbst die Kriterien „Recht“ und „Unrecht“ nicht als Maßstab anwenden; wenn der kategorische Imperativ, kein Unrecht zu begehen, nicht Maxime des eigenen Handelns der Aussagenden ist, sondern sie ebenfalls wie die Täter, über deren Tun sie die Aussage treffen, allein danach handeln, was ihnen und ihren ausschließlich egoistischen Interessen nützt.
Anlass für den Text war der Umstand, dass die PDS den Ministerpräsidenten stellen würde, anderenfalls gäbe es diesen Text nicht. Zwischen ausschließlich demokratischen Parteien käme niemand auch nur im Entferntesten auf die Idee, solch einen Text in die Präambel des Koalitionsvertrags aufzunehmen und zur alles entscheidenden Voraussetzung für das Zustandekommen der Koalition zu machen. Mit der PDS befasst sich der Text jedoch nicht im Mindesten, sie wird lediglich gleichartig neben den beiden anderen Koalitionsparteien erwähnt, keine Rede von dem - gelinde gesagt - herausgehobenen historischen Zusammenhang, in dem die PDS steht. Leidlich sinnvoll und brauchbar wäre der Text jedoch nur dann, wenn darin unmissverständlich klargestellt würde, dass die PDS die umbenannte SED ist, dass sämtliche PDS-Mitglieder sich kompromisslos von der SED-Diktatur distanzieren und sie keinesfalls gutheißen, dass kein einziges PDS-Mitglied für die Zukunft eine Diktatur anstrebt. Dass im Jahr 2009 die Koalitionsabsicht an dem Unrechtsstaat-Text scheiterte, ist der PDS nicht zu verdenken: „Die Linkspartei steht in der Nachfolge der SED, der Partei, welche die Diktatur in der DDR ausübte.“ Weiter wagte sich auch der damalige Text nicht, aber immerhin. Dieser Satz fehlt jedoch in Version 2014.
Die Vergangenheit ist ungleich weniger von Belang als die Zukunft. Deshalb ist die ganze spektakuläre Unrechtsstaat-Debatte, wie sie hermetisch mit ausschließlich starr auf die Vergangenheit gerichtetem Blick geführt wird, müßig und sinnlos. Für sich genommen, ist es völlig unerheblich, dass die PDS die DDR für den Himmel auf Erden mit nur oberflächlichen unrechtsstaatlichen Schönheitsfehlern hält, so wie es einerlei ist, dass Opa Hoppenstedt gerne Marschmusik hört und dabei in Erinnerungen an längst vergangene Zeiten mit alten Kameraden schwelgt. Opa Hoppenstedt ist raus aus dem Spiel, der will und wird nichts mehr bewegen. Die PDS jedoch ist hyperaktiv und will nach dem Schema, wie sie sich die Vergangenheit deutet, die Zukunft gestalten - ob wir wollen oder nicht. Davon aber ist in der Unrechtsstaat-Debatte nicht ansatzweise die Rede.
Andreas Bauseweins neueste Einlassung lautet, die PDS sei „in großen Teilen im Rechtsstaat angekommen“. Mal abgesehen davon, dass es keine abgedroschenere, ausgelutschtere links-alternative Stammtischphrase gibt als diese (wahlweise ist die PDS auch in der Demokratie angekommen) und es daher fast schon etwas Beleidigendes hat, sich damit überhaupt befassen zu müssen: Woher weiß er das, woran erkennt man das? Warum sollte ausgerechnet die PDS sich um 180° gewendet haben in 25 Jahren, wohingegen sämtliche anderen - demokratischen und antidemokratischen - Parteien gleich geblieben sind? Aber vielleicht ist eine solche 180-Grad-Wende tatsächlich möglich: Die Grünen widmen sich heutzutage ja auch nicht mehr der Förderung der Pädophilie. Damit sich die nach ihrem Sturz aus dem Diktatorenhimmel nun angeblich auf dem harten Boden von Demokratie und Rechtsstaat aufgeschlagene PDS etwas heimischer fühlt, ist in der Präambel des Koalitionsvertrags für Ostalgie gesorgt: „Wir vereinbaren deshalb engagierte, auf lange Sicht angelegte Projekte der politischen Bildung, in denen die Vergangenheit der DDR vielfältig und beispielhaft für die gesamte Bundesrepublik aufgearbeitet werden.“ Um diese große Aufgabe der Volksbildung zu einem vollen Erfolg werden zu lassen, ist sie in kompetente und vertrauenswürdige ministerielle Hände gelegt: Die neue Miss Bildung Birgit Klaubert ist von der PDS. Zunächst ist ihr jedoch anzuraten, Projekte der grammatischen Bildung durchzuführen, damit sprachliche Schlampereien wie in dem zitierten Satz der Vergangenheit angehören.
Allerdings sollte die neue Thüringer Regierung nichts überstürzen, gut Ding will Weile haben: Die SED-Diktatur ist doch erst seit 25 Jahren vorüber, und schon soll sie aufgearbeitet werden? Aber dahinter stecken wieder die Grünen, und die sind und bleiben nun mal die jungen, ungestümen Wilden.
Ramelow selbst stellt sich an die Spitze der Aufarbeiterbewegung. Es ist ihm scheißegal, dass die PDS-Basis ihn im Stillen hasst, und er haut so richtig auf die Kacke: „Jedes kleine oder größere Arschloch im DDR-Apparat konnte in das Leben der anderen eingreifen. Das war entsetzlich.“ Ach, wie sehr er an der Vergangenheit leidet. Wäre es ihm doch vergönnt gewesen, in der DDR aufzuwachsen: Er, Jung-Bodo, hätte ganz allein dem Drachen SED das Schwert der Revolution ins finstere Herz gestoßen. Eigenartig ist nur, dass derlei Äußerungen erst jetzt nach 25 Jahren kommen, rein zufällig im Zusammenhang mit dem wackeligen Vorhaben, eine PDS-geführte Landesregierung zu installieren, wohingegen die PDS eine „entschlossenere Aufarbeitung“ hat „zeitweise schleifen lassen“, wie Ramelow, eingequetscht zwischen sämtlichen Stühlen, verkniffen eingesteht.
Die Verwendung des Begriffs „Unrechtsstaat“ und die öffentliche Debatte darüber sind von vornherein durch zwei inhaltliche Unklarheiten erschwert: Ist ein Unrechtsstaat ein Staat, in dem Unrecht geschieht, oder ein Staat, der kein Rechtsstaat ist, also ein Unrechts-Staat oder ein Un-Rechtsstaat? Und was ist mit „Staat“ gemeint?
Tatsächlich war der SED-Staat natürlich sowohl als auch: Beide Komponenten waren miteinander verzahnt und verwoben, verquickt und verfilzt, das eine bedingte das andere, und jenes baute auf diesem auf:
Der SED-Staat war kein Rechtsstaat, in dem alles staatliche Handeln, von der Regierung bis zum Verwaltungsmitarbeiter, auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, sodass es kein willkürliches, eigenmächtiges Handeln gibt, und der Einzelne staatliches Handeln infrage stellen, überprüfen und rückgängig machen lassen kann, indem er z. B. Widerspruch gegen den Bescheid einer Behörde erhebt, dagegen zu Gericht geht, vielleicht gar die gesetzliche Grundlage gerichtlich überprüfen und für ungültig erklären lässt.
Der SED-Staat beging ununterbrochen Unrecht, da er eine Diktatur war: keine unabhängigen Parteien, keine freien Wahlen, keine Meinungs- und Pressefreiheit, keine Reisefreiheit, Bespitzelung der Bevölkerung, Unterdrückung und Internierung politisch Missliebiger, körperliche und psychische Gewaltanwendung, Tötung von „Republikflüchtlingen“. Solche Dinge sind immer absolut und unstreitig Unrecht, da sind keine Kompromisse zulässig. Und zwar auch dann, wenn sie gesetzlich geregelt sind: Die Diktatur durch die SED war in der Verfassung der DDR niedergelegt (rätselhafterweise erst ab 1968; ebenso rätselhaft ist, dass die SED nicht beim Namen genannt wurde): „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“
Formal könnte die SED-Diktatur mit all ihren Ausformungen somit als quasi rechtsstaatlich gelten, weil ordnungsgemäß gesetzlich geregelt. Faktisch war sie aber Unrecht. Umgekehrt gab es Unrecht, dass nicht gesetzlich geregelt war: In keinem Gesetz gab es die Dienstanweisung, dass Flüchtende umgebracht werden müssen. Dies wäre aber nicht weniger Unrecht gewesen, wenn es gesetzlich geregelt gewesen wäre, also auf einer formal rechtsstaatlichen Grundlage beruht hätte (wozu die SED schlichtweg zu feige war). Faktisch gab es den „Schießbefehl“ natürlich - anderenfalls wäre nicht geschossen worden. Die Hunderten von Toten waren kein Versehen, keine Eigenmächtigkeit einzelner Grenzsoldaten, die nervöse Zeigefinger hatten oder zur Auflockerung des öden Dienstbetriebs gerne mal ein bisschen rumballerten, weil sie zu viele Wildwestfilme gesehen hatten.
Hinzu kommt, dass der eigentlich eindeutige Begriff „Staat“ von vielen Menschen missverstanden wird, oder sie tun zumindest so, um Kritik an der SED-Diktatur abzuwürgen: Mit „Staat“ ist nicht „Land“ gemeint. Man kann z. B. sagen und niemand wird einem widersprechen: Norwegen ist ein schönes Land: schöne Landschaften, schöne Städte, sympathische Menschen. Deshalb ist Norwegen ein beliebtes Urlaubsland. Man würde aber nicht sagen: Norwegen ist ein schöner Staat, ein beliebter Urlaubsstaat. Vielmehr kann man sagen: Norwegen ist ein guter Staat: demokratisch, rechtsstaatlich, friedfertig, international vertrauenswürdig. Man kann auch sagen: Kuba ist ein schönes Land: schöne Landschaften, schöne Städte (vielleicht nicht ganz so gut in Schuss), sympathische Menschen. Deshalb ist Kuba ein beliebtes Urlaubsland. Man kann aber nicht sagen: Kuba ist ein guter Staat. Vielmehr ist Kuba eine kommunistische Diktatur (weshalb die PDS denn auch intensive kollegiale und kordiale Beziehungen zum dortigen Regime pflegt).
Die Bezeichnung Unrechtsstaat bezieht sich also ausschließlich auf den staatlichen Macht- und Unterdrückungsapparat, nicht auf das alltägliche Leben der Menschen. Letzteres unterstellen aber viele PDSler und ihre Sympathisanten, um auf diese Weise die Verwendung dieser Bezeichnung und diejenigen, die sie verwenden, zu diskreditieren. Indem PDSler und ihre Sympathisanten vorgeben, das Leben und die Lebensleistung der DDR-Bürger vor Verunglimpfung durch die Bezeichnung Unrechtsstaat schützen zu wollen, versuchen sie ausschließlich, die PDS, den umbenannten Macht- und Unterdrückungsapparat der DDR, vor Entlarvung zu schützen. Anderenfalls müssten sich auch die anderen Parteien zu Fürsprechern der angeblich in schlechtes Licht gerückten Menschen machen, denn deren Protagonisten sind überwiegend ebenfalls ehemalige DDR-Bürger.
Die Stammtischphrase, in der DDR sei doch nicht alles schlecht gewesen (was niemand behauptet), wird geheiligt durch salbungsvolle Worte von Dr. h. c. Dr. h. c. Friedrich Schorlemmer: Er lehnt es ab, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, denn sie war nicht nur ein „fordernder und strenger Vaterstaat“, sondern auch „ein Mutterstaat, eine nährende, Geborgenheit stiftende Amme“. Dort wurde er im Krankenhaus umsorgt, er machte den Führerschein, ihm wurde eine Wohnung „zugewiesen“ (!), und vor allem - da sieht man mal, wie liberal es doch zuging - ließ ihn die Alma Mater dolorosa Theologie an einer staatlichen Universität studieren, wofür er dem SED-Staat wohl zutiefst dankbar ist. Diese Art Dankbarkeit forderte Roland Freisler von Sophie und Hans Scholl, als er ihnen im „Volksgerichtshof“ vorhielt, ihre Umtriebe seien umso verwerflicher, als der NS-Staat es ihnen vergönnt habe, während des Krieges zu studieren. Schorlemmer: „Wer die DDR noch 25 Jahre nach ihrem Ende in toto zum Unrechtstaat erklärt, [...] delegitimiert alles, was in der DDR gewesen ist.“ Damit versieht Schorlemmer, der berufsbedingt sicherlich versierter Exeget ist, das Wort „Unrecht“ mit einer dritten Auslegung, nämlich im Sinne von „nicht richtig, falsch“. Auf perfide Weise sehr raffiniert, unterstellt er wider besseres Wissen, mit der Bezeichnung „Unrechtsstaat“ werde ausgesagt, die Menschen in der DDR hätten falsch gelebt, hätten alles falsch gemacht, ihr „gelebtes Leben“ habe jeglicher Legitimität entbehrt. Dies aber behauptet niemand. Jeglicher Legitimität entbehrte vielmehr das Handeln des SED-Regimes und seiner Helfershelfer. Der SED-Staat war ein Unrechtsstaat, aber die DDR war kein Unrechtsland.
Es ist bizarr, dass eine eigentlich x-beliebige Landtagswahl solchen Aufruhr, solchen Unfrieden erzeugt. Andererseits ist dies natürlich - systemimmanent betrachtet - dringend erforderlich. Es hätte bereits 1998 geschehen müssen, als in Mecklenburg-Vorpommern die SPD erstmals mit der PDS koalierte. Nur einmal glitten SPD, Grünen und PDS die Zügel aus der Hand, sodass die trotz ihrer Machenschaften herrschende Ruhe im Land gestört wurde: Im November 2008 versuchten SPD und Grüne in Hessen, sich mit den Stimmen der PDS als Minderheitsregierung installieren zu lassen, was aber dank der heldenhaften Putschdienstverweigerung von 4 SPD-Abgeordneten (Carmen Everts, Dagmar Metzger, Silke Tesch, Jürgen Walter) fehlschlug. Die PDS wäre mit tiefem Diener und hündisch-sabbernder Unterwürfigkeit bereit gewesen, ohne Ministerposten sich von SPD und Grünen als bloßes Stimmvieh missbrauchen zu lassen - weder Fisch noch Fleisch, weder Regierung noch Opposition. Mehr kann sie nicht erwarten in Westdeutschland. Das Armseligste, Erbärmlichste, Würdeloseste, was aus einer Partei werden kann, das Dschungelcamp für abgewrackte politische Z-Promis, die gerade noch dazu taugen, sich in aller Öffentlichkeit zum Deppen machen zu lassen. Die hessische Regierungsverhinderung war - mit positivem Vorzeichen - ein ebenso historischer Moment wie nun die Thüringer Regierungsbildung. Dazwischen liegen Welten. Das ist die Deutsche Einheit. Das sind Ostdeutschland und Westdeutschland.
Andreas Bausewein blickt wie immer über den Tag hinaus: Die Bildung der blutrot-rot-grünen Regierung sei eine „Entscheidung von historischer Tragweite“. Damit meint er sicherlich, dass SPD und Grüne zusammen 10 Prozentpunkte weniger Wahlergebnis haben als die PDS - die Erfindung der klein-kleinen Koalition. In der Tat ein historisches Novum.
Bodo Ramelow verkündet, die PDS werde der Ruhepol und der Anker der Regierung sein. Das ist eine Drohung, die SPD und Grüne ernst nehmen müssen: Die PDS wird sie von Anfang an ruhigstellen und sie wie mit einem Anker für immer an sich ketten, auf Gedeih und Verderb, sie werden sich nicht mehr selbstständig bewegen können, bis die marode SED-Schaluppe Baujahr 1946 sie in den Untergang hinabzerrt. Aber Ramelow wird sie auffangen und in eine ewige Ruhestätte betten - in die PDS: „Zwei Linke, drei Spaltungen, das war immer die Schwäche der deutschen Linken - machen wir nicht den Fehler!“, mahnt Ramelow, will sagen: Vereinige und herrsche. Da wird der nächsten sozialistischen Einheitspartei der Boden bereitet.
Bodo Ramelow ist zutiefst enttäuscht, von den Menschen im Allgemeinen und von der bürgerlichen Presse (die laut der PDS-Landtagsabgeordneten Katharina König „Hetze“ gegen die Koalition betreibt) im Besonderen. Während die Koalitionsgespräche „auf einem guten Weg“ seien und „wichtige Zukunftsfragen“ beantwortet werden müssten, interessiert sich der sensationslüsterne Pöbel, aufgestachelt durch die Trivialmedien von Bild bis FAZ, für nichts anderes als dafür, „wer auf einem grobkörnigen Foto abgebildet ist“. Die neueste Paparazzi-Trophäe aus Monaco oder von den Royals? Ach was, Kleinkram, dies hier ist ungleich spektakulärer: ein vom einem Verkehrsblitzgerät am 17.4.2014 aufgenommenes Bild, das einen Skoda zeigt, wie er auf der B7 bei Weimar statt der zugelassenen 60 schlappe 96 km/h drauf hat. Halter des Autos ist Bodo Ramelow. Auf dem Foto ist der Fahrer leider ziemlich unterbelichtet, trägt aber einen Rollkragenpullover (ein sehr wenig verbreitetes Kleidungsstück), wie Ramelow es häufig tut, und auch das Wenige, was vom Gesicht zu sehen ist, hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm. Ramelow ist natürlich völlig unschuldig, aber nicht deshalb, weil nicht er selbst, sondern irgendjemand anderes sein Auto fuhr, sondern weil es überhaupt nicht sein Auto ist, obwohl es das Nummernschild seines Autos trägt. Zum bewussten Zeitpunkt waren nämlich er und sein Auto samt Gattin auf dem Weg nach Wien. Wie ist solch Rätsel zu erklären?
Es liegt doch auf der Hand, wie diese Sauerei abgelaufen ist: Während Ramelow und Gemahlin aus Ossiland in der Hauptstadt von Ösiland auf Staatsbesuch weilen, um zu sondieren, ob nach seiner absehbaren Machtübernahme der Abschluss eines österreichisch-thüringischen Beistands- und Nichtangriffspakts möglich ist, nimmt in Weimar die Intrige ihren Lauf: Ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes streift sich eine Bodo-Maske (war der Renner zu Hallowien) samt Kassengestell und einen Rollkragenpullover (war nicht so leicht zu bekommen, denn wer trägt so was schon) über, setzt sich in einen Wagen, der dem Ramelows gleicht, mit einem gefälschten Nummernschild dran, brettert volle Kanne über eine Kreuzung und lässt sich blitzen. Im taktisch günstigen Augenblick wird das Foto 7 Monate später von der Polizei an die Bildzeitung lanciert. Wem unterstehen Verfassungsschutz und Polizei? Dem Innenministerium. Und welcher Partei gehörte der damalige Innenminister an? Na bitte, alles klar?
Die autogene Anti-Ramelow-Verschwörung hatte aber schon lange vorher begonnen:
Im Jahr 2008 wurde er innerorts mit 76 km/h erwischt. Gegen den Bußgeldbescheid wehrte er sich erfolgreich mit der Begründung, es habe kein Ortsschild gegeben. Pedanten mögen natürlich einwenden: Dass man sich in einer geschlossenen Ortschaft befindet, erkennt man schon daran, dass man sich in einer geschlossenen Ortschaft befindet, da bedarf es eigentlich keines Ortsschilds. Aber das ist kleinkrämerische Erbsenzählerei. Im Übrigen: Ein Ortsschild verschwindet doch nicht einfach eben mal so von selbst. Dahinter stecken vielmehr reaktionäre Kreise, die nicht einmal vor Gewalt gegen Volkseigentum zurückschrecken und das Schild geklaut hatten, um Ramelow ins Messer laufen zu lassen. Und natürlich stand rein zufällig eine Polizeistreife parat, als er reinen Gewissens und ungebremsten Bleifußes des Weges kam.
Ende November 2013 fuhr er auf der Autobahn, als sich an einem anderen Auto ein Gegenstand gelöst habe und gegen Ramelows Wagen geprallt sei. Das kann er zwar nicht beweisen, aber wer wollte seinen Worten keinen Glauben schenken? Mit Sicherheit handelte es sich um einen Attentatsversuch, um den sich der Staatsschutz kümmern muss. Ramelow habe daraufhin das Steuer verrissen, wodurch sein Wagen an die Leitplanke geraten sei. Danach habe er versehentlich vergessen, dies schnellstmöglich der Polizei anzuzeigen.
Doch all das ficht ihn nicht an: Den Ramelow in seinem Lauf hält weder Blitzgerät noch Ortsschild noch Leitplanke auf.
Susanne Hennig-Wellsow ist glücklich über das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung: „Ich freue mich sehr“, rot-rot-grün sei nun „als rasender Zug unterwegs“. Nanu, die PDS als Streikbrecher? Mitnichten. Die Thüringer PDS, die ja allesamt keine Linken sind, besteht nämlich nicht nur aus rechten Sozis, sondern es sind auch jede Menge Grüne darunter. Hennig-Wellsow, die aussieht, wie sich der kleine Moritz eine dauerpubertierende, linksradikale Emanze vorstellt, ist in Wahrheit eine Ökobiotussi, die die Zeichen der Zeit erkannt hat: Dem Schienenverkehr ist unbedingt Vorrang vor dem Individualverkehr zu geben. Ein rasender Zug ist besser als hunderte rasende Autos. Dann gibt es auch nicht mehr so viele Geschwindigkeitsüberschreitungen wie diejenige - ein völlig beliebiges Beispiel, das mir gerade rein zufällig in den Sinn kommt - am 17.4.2014 auf der B7 bei Weimar, die es eigentlich gar nicht gegeben haben kann. Dies zeugt von einer gradlinigen, konsequenten Haltung: Ein PDS-Funktionär hat mit der Vergangenheit generell nichts zu tun. Bitter schade, dass der Fahrzeughalter nur am 17. April auf der Straße, nicht aber auch am 5. Dezember im Landtag abgeblitzt ist.
Seit der Landtagswahl ist man es gewohnt, jeden Tag von mindestens einem neuen Kracher zu hören. Einen der schönsten hat - das ist Chefsache - Bodo Ramelow produziert, als er im Zuge einer Podiumsdiskussion ungefragt äußert: „Die Grundstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit war wie die Gestapo angelegt.“ Yeah, das ist Unrechtsstaat++, die Grünen dürften grün vor Neid werden. Aber Spaß beiseite (mir fiel leider gerade nichts Witzigeres ein):
Kein halbwegs verständiger und anständiger Mensch wird allen Ernstes das NS-System und das SED-System insgesamt gleichsetzen, weder um Ersteres zu verharmlosen noch um Letzteres zu dämonisieren. Beide Staatsformen können aber hinsichtlich bestimmter Strukturen miteinander verglichen werden, und dann zeigen sich gewisse Übereinstimmungen, denn: Neben dem unfassbaren Grauen von Vernichtungskrieg und Völkermord war der NS-Staat auch eine ganz normale Diktatur. Diese setzte mit voller Wucht 1933 ein - Jahre vor dem Überfall auf Polen und dem Beginn der Schoah. Ob Kriegshetzer Josef Goebbels 1932, noch während der Weimarer Republik, verhieß: „Wir werden die Macht niemals wieder aufgeben“ oder ob Kriegsgewinnler Walter Ulbricht 1945, noch vor SED und DDR, die Parole ausgab: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“; ob die Nazis es „Gleichschaltung“ nannten oder die SED „Durchdringung der Gesellschaft“ - das Staatsziel Diktatur war das gleiche. Auch die Gestapo und die Stasi können nicht insgesamt gleichgesetzt werden, aber es gibt gewisse Übereinstimmungen: „Neuere Forschung betont die funktionale Abhängigkeit der personell eher schwach ausgestatteten Gestapo von dem weit verzweigten Netz freiwilliger Denunzianten in der Bevölkerung.“ (Brockhaus-Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Auflage, bei Munzinger Online).
Bleibt die Frage, warum Ramelow das gesagt hat. Im Prinzip strickt er ja nur die zurzeit in der Thüringer PDS echt total angesagte DDR-igittigitt-Masche (die einem beinahe schon zum Halse heraushängt). Vielleicht will er bloß die Planvorgabe übererfüllen und ist im Eifer des Gefechts mit überhöhter Geschwindigkeit übers Ziel hinausgeschossen. Oder ist das alles nur ein Ablenkungsmanöver mit viel Theaterdonner, konzeptionell allerdings überhaupt nicht neu: Er spricht von Gestapo und Stasi, als wären diese Einrichtungen selbstständig gewesen. Natürlich waren sie dies nicht, sondern sie waren Geschöpfe und Werkzeuge der NSDAP bzw. der SED. Diese „Parteien“, d. h. die eigentlich relevanten Macht- und Unterdrückungsapparate, aber erwähnt er nicht. Somit bleibt unterm Strich nur die alte, sattsam bekannte Leier: Auf der Stasi herumhacken, um die SED - und damit die PDS - aus dem Blickfeld zu nehmen.
Welcher Affe ihn auch immer gebissen haben mag - als PDS-Funktionär hat er ihm etwas zu viel Zucker gegeben. Deshalb wird er prompt von seiner eigenen Parteileitung geblitzt und verwarnt und muss zu Kreuze kriechen (mal sehen, wann Ministerpräsident Ramelow aus dem Verkehr geputscht wird und seinen Führer-Schein abgeben muss). In einer mit (von?) Hennig-Wellsow verfassten Erklärung schwört er seinem Irrglauben ab: „Eine Gleichsetzung von Staatssicherheit in der DDR und Gestapo verbietet sich.“ Auch dieser Mechanismus ist in der PDS nichts Neues: Erst rumholzen und dann zurücknehmen - als wär's ein Stück von Gysi.
Der Vergleich zwischen NS-Diktatur und SED-Diktatur drängt sich auch schlichtweg deshalb auf, weil Ostdeutschland nahtlos von der einen in die andere überging - bittere Kontinuität, maßlos ungerechtes Pech (das einem als Westdeutschen immer wieder schlechtes Gewissen verursacht). Kontinuität auch in der SED: In ihren Anfangsjahren waren unter den stramm antifaschistischen Genossen viele ehemalige NSDAP-Mitglieder, die sogar offen angeworben wurden, sofern sie als unbelastete Mitläufer galten: „Komme zu uns! Denn was Hitler Dir versprochen hat und niemals hielt, das wird Dir die SED geben.“ Schorlemmer würden sagen: Sie hatten nach 1945 in der SED eine neue politische Heimat gefunden. Zur Abrundung wurde 1948 auf Betreiben der SED die NDPD gegründet - die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, deren bis 1989 amtierender Vorsitzender Heinrich Homann ehemaliges NSDAP-Mitglied war.
In letzter Konsequenz musste die SED (mit der die PDS ja nichts zu tun haben will) den Nazis von Herzen dankbar sein, denn diese waren für sie ein Segen, ein Geschenk des Himmels, besser als ein Sechser im Lotto: Ohne die Überfälle auf die Sowjetunion, auf Polen und andere osteuropäische Länder, ohne den vor allem im besetzten Polen exekutierten Völkermord an den Juden wäre die Rote Armee nicht nach Westen vorgedrungen und hätte nicht die kommunistischen Regime in Ostdeutschland und Osteuropa installieren können. Auf andere Weise wären die deutschen Kommunisten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag nicht an die Macht gekommen. Wer weiß, ob die Diktatur in der Sowjetunion nicht Jahrzehnte früher untergegangen wäre ohne den „Großen Vaterländischen Krieg“ zur Abwehr der Nazi-Agression, durch den Stalin und Konsorten ihre Untertanen um sich scharen und zur Loyalität zwingen konnten.
Politiker sind allesamt Halunken, die dem Volk das Blaue vom Himmel herunterlügen und kein einziges Versprechen halten. Jüngstes Beispiel: Die PDS-Bundesvorsitzende wirft der Thüringer CDU vor, wenn diese bei der Wahl des Ministerpräsidenten auf die Stimmen der AfD spekuliere, sei das Wahlbetrug, denn sie habe ihr Wort gegeben, nicht mit der AfD zu paktieren. Kipping meint natürlich Wählerbetrug, aber dieser putzige freudsche Ausrutscher sei ihr verziehen, ist er doch zwangsläufiges Symptom einer der zahllosen SED-Erbkrankheiten: Morbus Modrow. Welche Wähler wurden denn betrogen? Doch nur diejenigen der CDU. Warum also schwingt sich die PDS-Bundesvorsitzende ungebeten zur Anwältin der behumsten CDU-Wähler auf? Diese Reaktionären sind doch selbst dran schuld, das haben sie nun davon, dass sie die böse Blockpartei gewählt haben - statt PDS. Auch auf diese Frage wird die PDS jegliche Antwort schuldig bleiben.
Nichtsdestoweniger steht die PDS mal wieder als die reine, feine Integre da gegenüber den moralisch verrotteten bürgerlichen Parteien. Aber was tut sie selbst? Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags erwähnt Susanne Hennig-Wellsow en passant kaltlächelnd und -schnäuzig: „Unser erster Antrag im Parlament wird nicht sein, dass wir in Thüringen den Sozialismus einführen.“ Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! Das ist nicht nur Wählerbetrug, sondern obendrein Arbeitsverweigerung. Wozu haben denn so viele gutgläubige Thüringer PDS gewählt? Vor der Wahl lockte Hennig-Wellsow sie damit, die PDS werde die „totale gesellschaftliche Wende“ in Thüringen durchsetzen. Und jetzt, da sie die 28 % im Sack hat, heißt es plötzlich „ätsch-bätsch, reingefallen!“ Im PDS-Parteiprogramm von 2011 (zynischerweise in Erfurt verabschiedet) wird der Sozialismus (sogar der demokratische, was wohl die Hardcore-Version ist) 25-mal erwähnt, vom „demokratischen Sozialismus im 21. Jahrhundert“ wird herumgetönt - alles nur Phrasen und Worthülsen, um Wählerstimmen einzufangen. Nun ist es der PDS endlich erstmals nach 25 Jahren gelungen, einen leibhaftigen Ministerpräsidenten auf die Beine zu stellen, aber anstatt pflichtgemäß einen neuen „Sozialismusversuch“ (wie die SED-Diktatur im Parteiprogramm genannt wird) zu unternehmen, lässt sie all die schönen Versprechungen und blühenden Visionen sang- und klanglos zerplatzen wie schillernde Seifenblasen. War etwa Helmut Kohl der Ghostwriter des PDS-Parteiprogramms? Da muss erst eine PDS-Bundestagsabgeordnete, die noch ausländischer ist als Bodo Ramelow, Inge Höger aus Herford in Westfalen, wo die PDS wahrscheinlich unter das Washingtoner Artenschutzübereinkommen fällt, auf den Tisch hauen und Linientreue einfordern: In der Thüringer Koalition vermisse sie, dass „wirklich linke Inhalte in Richtung eines Gesellschaftsänderungsprozesses durchgesetzt werden“. (Für alle Herforder und Gleichgestellten: Gesellschaftsänderungsprozess = Diktatur und Planwirtschaft.)
Sozialistische Wurzelmännchinnen und Wurzelmännchen
Hönig sollte aber nicht zu früh verzagen: Der Koalitionsvertrag ist das eine, was die PDS wirklich vorhat, ist das andere: Wenn ein linker Ministerpräsident regiert, dann verändere das nicht nur Thüringen, sondern die ganze Bundesrepublik, posaunt Susanne Hennig-Wellsow. Klingt wie: „Bundesländer, hört die Signale! Heute gehört uns Thüringen, morgen ...“ - der National-Sozialismus ist im Kommen. Ihr Vize Steffen Dittes, der aussieht, als hätte er das Casting zum Remake von „Planet der Affen“ gewonnen (aber nicht als Charlton Heston), legt nach: Die PDS werde nach der Regierungsübernahme ihre „sozialistischen Wurzeln“ pflegen. Es gehe nicht nur darum, Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen: „Wir sind mehr als Bodo Ramelow.“ Zwar würden „gesellschaftspolitische und bundespolitische Rahmenbedingungen“ den Wandel einschränken, „aber natürlich wollen wir diese auch verändern.“ Im Klartext: Während Biedermann Bodo vordergründig dem landespolitischen Tagesgeschäft obliegt, wollen seine Brandstifter sich parteiauftragsgemäß als Systemveränderer auf den langen Marsch durch die Institutionen begeben, um die große Planvorgabe zu erfüllen, welche das PDS-Parteiprogramm uns unheilvoll verheißt: „Ausgangsbedingungen für weitergehende demokratisch-sozialistische Umgestaltungen zu schaffen“, um „ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem“ zu erreichen.
Welch gleichermaßen erschreckende wie rührende Mischung aus Größenwahn und Kleinkariertheit: Man stelle sich vor, in irgendeinem anderen - insbesondere westdeutschen - Bundesland würde die dominierende Regierungspartei behaupten, wenn ihr Ministerpräsidenten regiert, werde dies die ganze Bundesrepublik verändern - sie würde für verrückt erklärt und nie mehr ernst genommen werden. Im vorliegenden Fall sind dies allerdings Drohungen, die die Westdeutschen bitter ernst nehmen müssen. Daher erlaube ich mir, der PDS aufmunternd zuzurufen: „Sie werden ihre sozialistischen Tentakeln nicht in Westdeutschland festkrallen. Sie werden Ihre schmierigen Pfoten gefälligst weglassen von Westdeutschland. Sie werden die Rahmenbedingungen von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft in Westdeutschland nicht ein haarbreit verändern. Diesen Zahn samt sozialistischer Wurzel werden Ihnen die Westdeutschen ziehen. In Westdeutschland ist Ihr rasender Sozialismus-Zug nur ein lahmer Ochs- und Eselkarren, der mit leichter Hand aufgehalten wird.“
AfO - Alternative für Ostdeutschland
In der Ostthüringer Zeitung (Gera) erscheint unter dem Titel „DDR-Unrechtsstaat - ein undefinierter Begriff, der die Aufarbeitung der Geschichte erschwert“ ein Gastbeitrag von Bodo Ramelow, worin von der „politisch-moralischen Legitimität des Versuchs einer antifaschistisch-demokratischen sowie sozialistischen Alternative nach 1945“ die Rede ist - gemeint ist die Gründung der DDR. Kleiner Fauxpas, kommt nicht so gut rüber, während gleichzeitig die Unrechtsstaat-Debatte auf Hochtouren läuft. Ist Ramelow zum Koalitions-Dissidenten geworden, zurück zu den Wurzeln? Weit gefehlt, nur eine kleine „technische Panne“: Es handele sich um ein Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft Geschichte beim Landesvorstand der PDS, erklärt Ramelow, eigentlich habe ein anderer Text von ihm veröffentlicht werden sollen.
Da muss die PDS wohl mal ihr Bürowesen organisatorisch etwas aufmöbeln. Die „technische Panne“ erinnert an die Veröffentlichung eines lobhudelnden, schleimtriefenden Glückwunschschreibens der damaligen PDS-Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an „Comandante de la Revolución Compañero Fidel Castro Ruz“ zu dessen 85. Geburtstag am 13. August 2011 (mit irgendwas müssen sich PDS-Funktionäre am 50. Jahrestag des Mauerbaus doch die Zeit vertreiben). Als die Wellen der öffentlichen Entrüstung hochschlugen, redeten die beiden sich damit heraus, der Text stamme nicht aus ihrer Feder, sondern sei von der Parteizentrale verfasst worden, und ihre Unterschriften habe ein Automat erzeugt. Wie kann es zu solchen Schlampereien kommen? Offensichtlich weiß in der PDS die Linke nicht, was die Linke tut.
Millionen Fliegen können irren
Die Parteioberen von SPD und Grünen in Thüringen sind echte Profis, die kennen alle Tricks und sind mit allen Wassern gewaschen: Da sie zu feige sind, die Verantwortung für die skandalöse Koalition mit der PDS allein zu tragen, führen sie Mitgliederbefragungen durch. Dann können sie später immer sagen, das Fußvolk habe es so gewollt. Basisdemokratie ist echt voll geil! Die SPD stellt sich jedoch etwas ungeschickt an: Sie fragt schon nach den Sondierungsgesprächen, ob überhaupt Koalitionsverhandlungen mit der PDS aufgenommen werden sollen, und gibt damit zu, dass dies etwas besonders Bedenkenswertes, d. h. Bedenkliches ist - in der Außenwirkung taktisch total unklug. Die Grünen hingegen sind schlauer und stellen sich dumm, indem sie so tun, als wäre es von vornherein nicht eines Wortes wert, ob die PDS überhaupt infrage kommt. Deshalb lassen sie ihre Mitglieder nur darüber entscheiden, ob der inzwischen ausgehandelte Koalitionsvertrag (wir erinnern uns: mit der Präambel mit dem Unrechtsstaat) genehm ist.
An der SPD-Fragerunde haben rd. 80 % der etwa 4300 Mitglieder teilgenommen. Knapp 70 % stimmen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der PDS. Die Grünen haben von rd. 63 % ihrer etwa 750 Mitglieder eine Antwort erhalten: rd. 84 % stimmen für den Koalitionsvertrag. Wie hoch ist der Anteil der aufrichtig überzeugten PDS-Kollaborateure in SPD und Grünen in Westdeutschland, wie hoch der anderen? Bislang hat es nur vereinzelt (vor allem die 4 Wiesbadener Helden vom November 2008) Widerstand gegeben, der aber nicht annähernd zu einem Aufstand geworden ist. Die meisten anderen SPD- und Grünen-Mitglieder sind anscheinend Indifferente, Opportunisten, Faulpelze, Feiglinge, Verantwortungslose. Diese Gruppe erscheint mir wie die Mitglieder und Funktionäre der früheren Blockparteien, die zwar nicht allzu viel mit Sozialismus am Hut hatten, aber sich dennoch recht komfortabel akklimatisiert hatten, weich gepolstert und gepampert auf einer Mittelklasse-Yacht (die Oberklasse war der SED vorbehalten), mit der sie gemächlich im Strom mitschwimmen konnten, über die Masse der Untertanen auf ihren wackeligen Kähnen erhoben und dennoch ohne sich wirklich mit Schmutz und Blut zu besudeln - die da oben werden es schon richten: „Ich wischiwaschi meine Hände in Unschuld.“ Ein gravierender Unterschied besteht jedoch: SPD- und Grünen-Mitglieder, die aufstehen, Nein sagen und sich verweigern, die ihre Parteien an den Pranger stellen und angreifen, aus Protest austreten und an der Gründung einer neuen Partei mitwirken würden, einer fortschrittlichen Partei, die SPD und Grüne ablöst, nicht nach Macht um der Macht willen giert, sondern der es um eine Aufgabe, um Verpflichtung und Verantwortung geht, ohne linken Quark und ohne die historischen und ideologischen Verstrickungen, Verengungen, Verirrungen und Verblendungen durch den vergammelten Fliegengott „demokratischer Sozialismus“ - diese SPD- und Grünen-Mitglieder haben keinen Stasi-Knast zu befürchten, wenn sie sich auflehnen, sondern sie können sich verdient machen (und Geschichte). Nach 25 Jahren braucht Westdeutschland ein Revolutiönchen.
Eine düstere Wolke hat fast 3 Monate lang über dem Siegestaumel geschwebt: Würden sämtliche Abgeordneten von PDS, SPD und Grünen Ramelow ihre Stimme geben, oder würde es im letzten Moment kurz vor der Ziellinie um Haaresbreite ein Desaster geben wie im Schwarzen November 2008 in Hessen - würde sich Ramelow 1.0 als Ypsilanti 2.0 entpuppen? PDS, SPD und Grüne haben im Thüringer Landtag 46 von 91 Abgeordneten. Dies ist exakt die minimale absolute Mehrheit. Es müssen also sämtliche PDS-, SPD- und Grünen-Abgeordneten für Ramelow stimmen, damit er im ersten, spätestens zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Gibt es nur einen einzigen Abweichler, würde Ramelow die absolute Mehrheit verfehlen. Im dritten Wahlgang brauchte er dann nicht mehr 46 Stimmen zu erhalten, sondern es würden auch 45 reichen, sofern diese Anzahl die einfache Mehrheit ist.
Ramelow, ganz Berufspolitiker, versucht, seine Unsicherheit in souveräne Gelassenheit umzumünzen, indem er verlautbart, er rechne damit, nicht im ersten oder zweiten Wahlgang mit absoluter, sondern erst im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt zu werden. Klingt gut, geht aber nicht: Mathe 6, setzen! Da stellen wir uns mal ganz dumm und fragen: Wat is 'n einfache Mehrheit? Das ist ganz einfach, aber anscheinend nicht für einen PDS-Funktionär: Einfache Mehrheit liegt dann vor, wenn ein Kandidat eine höhere Stimmenzahl erreicht als jeder einzelne andere Kandidat. Angenommen, CDU und AfD, die zusammen 45 Abgeordnete haben, und der fiktive Dissident aus dem Koalitionslager würden im dritten Wahlgang - sofern es keinen CDU-Kandidaten gibt - gegen Ramelow bzw. - sofern es einen CDU-Kandidaten gibt - für den CDU-Kandidaten stimmen, so wäre das Ergebnis 45:46. Mit 45 Stimmen für Ramelow ist aber nicht nur die absolute Mehrheit verfehlt, sondern auch die einfache, denn - aufgemerkt nun also, kleiner Bodo - 45 ist einfach nicht mehr als 46.Aber er hätte sich eigentlich keine Sorgen zu machen brauchen: Er hatte von vornherein 60 % - Geschwindigkeitsüberschreitung.
Im vorhergehenden Abschnitt habe ich 2 Varianten nebeneinandergestellt, als wären sie ein und dasselbe und bedürften keiner weiteren Bemerkung: Entweder tritt Ramelow im dritten Wahlgang als einziger Kandidat an, oder es gibt einen weiteren Kandidaten. Die zweite Variante ist von vornherein unproblematisch: Wenn Ramelow 45 Stimmen und der andere Kandidat 46 Stimmen erhält, hat Ramelow verloren. Die erste Variante ist jedoch der Casus knacksus, der vor der Wahl des Ministerpräsidenten zum Politikum geworden ist: Wenn 45 Abgeordnete mit Ja und 46 Abgeordnete mit Nein stimmen, hat Ramelow dann gewonnen oder verloren? Der gesunde Menschenverstand und das Gerechtigkeitsempfinden sagen: Dumme Frage, natürlich hat er verloren, denn 45 ist weniger als 46. Mir ist klar: Gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitsempfinden ins Spiel zu bringen, grenzt an Populismus. Diese Maßstäbe sind völlig irrelevant, denn hier geht es um Politik. Und obendrein um Jura: Zur Klärung der Frage, ob Nein-Stimmen überhaupt von Belang sind oder unter den Tisch fallen, haben der bisherige Thüringer Justizminister (SPD), der dafür gar nicht zuständig ist, und der neue Landtagspräsident (CDU) je einen Rechtswissenschaftler beauftragt, Gutachten darüber zu erstellen, wie Art. 70 Abs. 3 Satz 3 der Thüringer Verfassung (ThürVerf) auszulegen ist: „Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“
Das erste Gutachten (Prof. Dr. Martin Morlok, Universität Düsseldorf) kommt zu dem Ergebnis, dass die Nein-Stimmen nicht zählen, sondern ausschließlich die Ja-Stimmen, sodass Ramelow sogar dann gewählt wäre, wenn es nur eine einzige Ja-Stimme und 90 Nein-Stimmen geben würde. Das Gutachten, das für verfassungsrechtliche Laien wie mich manch Lehrreiches und Erstaunliches enthält („In diesem System ist die Existenz der Gubernative von dem Kreationsakt der Wahl des Regierungschefs durch das Parlament abhängig.“) und - Lieberknecht und Ramelow wird es freuen - auch mal auf Gottes Wort als Rechtsquelle rekurriert („In der Konkurrenz der Wahl gilt: ‚Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.‘ (Matthäus 12, 30)“) stützt seine Argumentation auf 2 Punkte: a) Im dritten Wahlgang muss auf Deubel komm raus ein Ministerpräsident gewählt werden, weil anderenfalls eine Staatskrise ausbrechen würde. Daher dürfen - wenn nur ein einziger Kandidat antritt - Nein-Stimmen keine Rolle spielen. b) Wenn mehrere Kandidaten antreten, hätte der mit einfacher Mehrheit siegreiche ja auch weniger Stimmen als der/die andere/n Kandidat/en plus Enthaltungen zusammen. Wenn dies zulässig ist, sei es auch zulässig, dass ein allein antretender Kandidat mit weniger Ja- als Nein-Stimmen gewählt ist.
Zu a): Dass Nein-Stimmen, wenn sie denn abgegeben werden dürfen, von vornherein für die Tonne sind, können nur Berufspolitiker und Juristen behaupten. Das ist natürlich Unsinn und lässt sich auch nicht mit Staatsräson rechtfertigen. Zu b): Der Vergleich geht gänzlich fehl, denn es ist ein fundamentaler Unterschied, ob man Kandidaten nicht wählt, indem man einen anderen Kandidaten wählt, oder ob man ausdrücklich durch Nein einen Kandidaten ablehnt.
Wenn Nein-Stimmen im dritten Wahlgang von vornherein nutzlos sind und stattdessen der einzige Kandidat mit jeder beliebigen Ja-Stimmenzahl gewinnt, dann braucht gar kein dritter Wahlgang durchgeführt zu werden, denn man kann getrost davon ausgehen, dass er mindestens eine Ja-Stimme erhalten würde. Was also soll im dritten Wahlgang dann noch bewiesen werden? Es wäre nur ein sinnloses Ritual, das an „Wahlen“ im SED-Staat erinnert.
Das zweite Gutachten (Prof. Dr. Wolfgang Zeh, Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) kommt zu dem Ergebnis, dass auch die Nein-Stimmen zählen, sodass Ramelow nur dann gewählt wäre, wenn er mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält. Es stützt seine Argumentation auf 2 Punkte: a) Es ist unzulässig, die Meinung derjenigen Abgeordneten, die mit Ja stimmen, als maßgeblich, derjenigen, die mit Nein stimmen, aber als irrelevant zu behandeln. b) Wenn im dritten Wahlgang nur ein einzige Kandidat antritt, wird aus der Wahl eine Abstimmung, sodass der Stimmzettel nicht allein ein Ja-Feld enthalten darf, sondern auch ein Nein-Feld enthalten muss.
Zu a): Dieser Fingerzeig von Zeh ist so profan richtig und selbstverständlich, dass er keines weiteren Kommentars bedarf. b) Dies ist falsch, denn in der Thüringer Verfassung steht nirgendwo, dass aus der Wahl eine Abstimmung wird, und zwar steht das deshalb nirgendwo, weil es so etwas nicht geben kann: Eine Wahl bleibt immer eine Wahl, auch dann, wenn potenzielle Kandidaten aus Feigheit, kleinkariertem taktischen Kalkül oder Verantwortungslosigkeit nicht antreten, sodass nur ein einziger Kandidat vorhanden ist.
Dass Nein-Stimmen zählen, ist auch das Ergebnis einer Stellungnahme der Landtagsverwaltung vom 14.11.2014, die allerdings im Jahr 2009 zum gegenteiligen Ergebnis kam - Konfusion pur.
Während das Morlok-Gutachten der staatsstreichartigen Inthronisation eines Ministerpräsidenten um jeden Preis (selbst um den der Demokratie) das Wort redet, führt das Zeh-Gutachten zum entgegengesetzten Problem: Nach dem dritten Wahlgang könnte kein Ministerpräsident vorhanden sein. Um sich aus dieser selbst geschaffenen Bredouille zu befreien, versteigt sich das Zeh-Gutachten zu der Behauptung, in diesem Falle könne das gesamte Verfahren beliebig oft wieder von vorn beginnen: erster, zweiter, dritter Wahlgang usw.
Das Morlok-Gutachten ist die minimalistische Variante: Der Ministerpräsident wäre auch dann gewählt, wenn er nur eine einzige Ja-Stimme bekäme gegenüber 90 Nein-Stimmen. Das Zeh-Gutachten ist die maximalistische Variante: Der Landtag könnte sich 5 Jahre lang mit nichts anderem beschäftigen, als in einer Endlosschleife immer neue vergebliche Wahlversuche durchzuführen. In Anbetracht eines etwaigen PDS-Ministerpräsidenten ist unter politikhygienischen Gesichtspunkten das Verfahren von Zeh - obwohl es weder Hand noch Fuß hat - natürlich eindeutig zu bevorzugen.
Unterm Strich sind beide Gutachten gleich haarsträubend: Als Normalsterblicher kann man sie nur mit fassungslosem Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen.
Wahlordnung ist das halbe Leben
Welche Sichtweise ist denn nun die Richtige? Antwort: Keine von beiden. Des Rätsels Lösung besteht vielmehr darin, dass es gar keine Nein-Stimmen geben darf. Nanu, soll Abgeordneten die freie Entscheidung verboten werden? Natürlich nicht, sondern es ist von vornherein systematisch Unsinn, bei einer Wahl mit Nein zu stimmen. Bei politischen Wahlen (Bundestag, Landtag, Kommunalparlamente, EU-Parlament) stehen auf dem Stimmzettel jede Menge Kandidaten und Parteien, von der Christlich-Demokratischen Union bis zur Partei der Bibeltreuen Christen ist (fast) alles versammelt, was das Herz (nicht) begehrt. Neben jedem Kandidaten bzw. jeder Partei befindet sich ein kleiner Kreis, den man ankreuzen kann, wenn man diese wählen will. Gibt es dazu auch die Möglichkeit, „Nein“ anzukreuzen? Natürlich nicht, denn das wäre völlig sinnwidrig. Beispiel Bundestagswahl: Die Entsprechung zu Art. 70 Abs. 3 Satz 3 ThürVerf ist § 5 Satz 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG): „Gewählt ist der Bewerber, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt.“ Dazu gibt es - wie sich das gehört - eine Wahlordnung (die Bundeswahlordnung), und in deren § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ist geregelt, welchen Inhalt die Stimmzettel zu haben haben: „Der Stimmzettel enthält [...] rechts von dem Namen jedes Bewerbers einen Kreis für die Kennzeichnung [...].“ Von einer Nein-Rubrik ist keine Rede, und natürlich wird nicht unterschieden, ob nur ein einziger oder mehrere Kandidaten antreten.
Warum also gibt es bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten eine Nein-Rubrik? Steht das so in der WO-ThürMP, der „Wahlordnung zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten“? Kleiner Scherz meinerseits: Diese Wahlordnung gibt es nicht, und genau das ist das Problem: Das gesamte Verfahren zur MP-Wahl ist völlig ungeregelt. Für sämtliche anderen, vom niederen Volk zu absolvierenden Wahlen gibt es penible Wahlordnungen, die alles bis zum letzten Federstrich und Handgriff vorgeben - verbindliche Regelungen, die allen Beteiligten und Betroffenen als Handreichung dienen und Rechtssicherheit bieten (das ist ja der Vorteil der bösenbösen, typisch deutschen Überregulierung). Meinen hochmögende Landtagsabgeordnete, so 'n Popelkram wie eine Verfahrensregelung nicht nötig zu haben? Das Ergebnis sieht man jetzt. Man stelle sich vor, solch gravierende Unklarheiten gäbe es bei einer Bundestagswahl - undenkbar. Aber der Thüringer Landtag kann sich das erlauben und blamiert sich vor versammeltem Volke bis aufs Hemd.
„Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal“, legte Loriot einem fiktiven profilreduzierten FDP-Funktionär in den Mund - und in der Tat: Zuweilen wachsen auch Liberale über sich hinaus und tragen etwas zur Problemlösung bei. In diesem Falle Andreas Kniepert, ehemaliger Thüringer FDP-Chef und Mitautor der Thüringer Verfassung, der als Freidemokrat das ganze Treiben sehr gelassen und unvoreingenommen von neutraler Warte (man könnte auch sagen: auf verlorenem Posten) betrachten kann. Gegenüber der Thüringer Allgemeinen und dem MDR wies er darauf hin, dass in der Verfassung Nein-Stimmen überhaupt nicht vorgesehen sind: „Aus meiner Sicht würde ein Wahlzettel nicht mit dem Text der Verfassung im Einklang stehen, auf dem eine Nein-Stimme möglich ist.“ Pikanterweise wird diese Äußerung auch im Morlok-Gutachten zitiert, aber ohne Konsequenz. Zudem spricht der Gutachter diesen Punkt sogar selbst an - und verfehlt das Thema haarscharf: „Im Fall, dass mehrere Kandidaten zur Wahl stehen, gibt es hinter jedem Kandidaten nur die Möglichkeit eines ankreuzbaren Feldes, im Fall bloß eines zur Wahl stehenden Kandidaten sollte Gleiches gelten. Falls in dieser Konstellation die Möglichkeit eingeräumt wird, mit ‚Ja‘, ‚Nein‘ und ‚Enthaltung‘ zu stimmen, so mag eine solche Gestaltung hingenommen werden.“ Das Zeh-Gutachten kritisiert diese Aussage als halben Kram und behauptet, dass es auf jeden Fall eine Nein-Rubrik geben müsse: „Dies muss nicht aus politischen oder praktischen Gründen lediglich ‚hingenommen‘ werden (so aber GM S. 21), sondern hat deshalb zu geschehen, weil die Argumente hiergegen verfassungsrechtlich nicht durchschlagen.“ Das Verfassungsrecht braucht hier nicht bemüht zu werden, sondern es ist schlicht und einfach - wie Juristen zu sagen pflegen - denklogisch, dass es keine Nein-Rubrik geben darf. Diese ist systematisch unsinnig und die Ursache des ganzen Dilemmas. Wenn es im Falle nur eines einzigen Kandidaten eine Nein-Rubrik geben müsse, dann schlüssigerweise auch bei mehreren Kandidaten: Das Vorhandensein von mindestens 2 Kandidaten bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass sämtliche Abgeordneten einen der Kandidaten wählen möchten. Vielmehr kann es ohne Weiteres sein, dass manche Abgeordneten keinen der Kandidaten bevorzugen. Daher müssten sie auch in diesem Fall die Möglichkeit haben, mit Nein zu stimmen. Dies aber ist natürlich nicht vorgesehen. Warum also sollte diese Möglichkeit bestehen, wenn nur ein einziger Kandidat antritt?
Die Sache ist ganz einfach: Auch dann, wenn nur ein einziger Kandidat antritt, kann man ihn nur wählen oder nicht wählen, aber man kann ihn nicht ausdrücklich mit Nein ablehnen. Wenn z. B. bei einer Bundestagswahl in einem bestimmten Wahlkreis in der tiefsten südniedersächsischen Provinz (z. B. Göttingen) nur eine einzige Partei einen Kandidaten aufstellt, die anderen Parteien aber nicht, so steht auf dem Stimmzettel eben nur dieser eine Kandidat mit dem üblichen Ankreuzkreis daneben, aber keine Nein-Variante. Die Wahlmöglichkeit der Wähler beschränkt sich also darauf, entweder diesen einen Kandidaten zu wählen oder keinen. Ihn durch Nein ausdrücklich abzulehnen, wäre hingegen systematisch unsinnig, denn bei mehreren Kandidaten gibt es diese Variante ja auch nicht. Obwohl es keine Nein-Stimmen gibt, ist die Vorgabe der ThürVerf bzw. des BWahlG, dass der obsiegende Kandidat „die meisten Stimmen“ haben muss, erfüllt: Die Vergleichsgröße sind 0 konkurrierende Stimmen. Die Konstellation, dass nur ein einziger Kandidat Stimmen erhält und es 0 konkurrierende Stimmen gibt, kann sich wohlgemerkt auch dann ergeben, wenn zwar mehrere Kandidaten antreten, aber nur ein einziger überhaupt Stimmen bekommt, sämtliche übrigen aber keine Stimmen, da niemand sie gewählt hat. Auch in diesem Falle hat der obsiegende Kandidat „die meisten Stimmen“.
Nun mag man einwenden, es sei doch undemokratisch, wenn die Wähler nur diesen einen Kandidaten wählen können oder gar keinen. Dies ist zwar nicht der demokratische Idealfall, aber es ist nicht undemokratisch, denn das Fehlen weiterer Kandidaten ist ja nicht erzwungen worden, und niemand ist daran gehindert worden, weitere Kandidaten aufzustellen. Demokratie ist gewissermaßen eine Bringschuld: Man darf sich nicht einfach hinhocken und darauf warten, dass einem ideale Verhältnisse in mundgerechten Häppchen auf dem Silbertablett serviert werden. Wenn es nur von einer einzigen Partei einen Kandidaten geben würde, muss man sich eben selbst kümmern: Man kann in eine Partei eintreten, um sie zur Kandidatur zu bewegen - und man kann selber mit vielen Gleichgesinnten eine neue Partei gründen und einen Kandidaten aufstellen.
Wenn ihr werdet wie die Kinder
Die Veranstaltung heißt „Wahl des Ministerpräsidenten“, nicht „Verhinderung des Ministerpräsidenten“. Es ist die erste Aufgabe des neuen Landtags, die Position des Ministerpräsidenten zu besetzen. Diese Aufgabe ist aber keine Spielwiese für parteipolitische Mätzchen, dazu haben die Damen und Herren Berufspolitiker und -innen noch 5 Jahre lang Zeit genug. Um nochmals Andreas Kniepert zu zitieren: „Dieser Landtag ist nicht dazu da, um Kindergarten zu spielen, sondern um die Zukunft des Landes zu bestimmen.“ Wenn Abgeordnete den einzigen Kandidaten mit Nein ablehnen könnten, würden sie ihrer Pflicht, die Position des Ministerpräsidenten zu besetzen, nicht nachkommen, denn der dritte Wahlgang könnte damit enden, dass die Position unbesetzt bleibt. Dies wäre ein Verfassungsbruch infolge von Arbeitsverweigerung. Wenn Abgeordneten konkurrierender Parteien der von anderen Parteien aufgestellte einzige Kandidat nicht passt, ist dies deren gutes demokratisches Recht. Die Reaktion darauf darf aber nicht sein, durch ausdrückliche Ablehnung dieses Kandidaten die Besetzung der Position des Ministerpräsidenten zu verhindern, sondern dann müssen sie entweder einen eigenen Kandidaten aufstellen oder den Schnabel und die Hände unter dem Tisch halten. Die Wahl des Ministerpräsidenten, also die Besetzung einer unverzichtbaren Position, ist etwas fundamental anderes als die normale, klassische Aufgabe eines Landtags, nämlich sich mit Gesetzesvorhaben zu befassen: Über eine Gesetzesvorlage können die Abgeordneten mit Ja oder Nein abstimmen, denn es gibt nicht beliebig viele Gesetzes-Kandidaten zum selben Thema, zwischen denen eine Wahl zu treffen ist. Die Ja-Nein-Abstimmung ist in § 42 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags geregelt (ist aber nicht auf die MP-Wahl anwendbar). Wenn ein Landtag z. B. ein Gesetz zur Einführung von Studiengebühren behandelt und es wird durch eine Mehrheit von Nein-Stimmen nicht verabschiedet, so ist auch Nein eine konstruktive Maßnahme, nämlich die Aussage, dass es keine Studiengebühren geben soll. Wenn ein Landtag ein Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren behandelt und es wird durch eine Mehrheit von Nein-Stimmen nicht verabschiedet, so ist auch Nein eine konstruktive Maßnahme, nämlich die Aussage, dass es Studiengebühren weiterhin geben soll. Bei der Wahl (eben nicht Abstimmung) des Ministerpräsidenten ist Nein jedoch keine konstruktive Maßnahme, denn die Variante, dass kein neuer Ministerpräsident im Amt ist, darf es laut Verfassung nicht geben. Also ist Nein schiere Destruktion, ein absolut inakzeptabler Verfassungsbruch. Die einzige konstruktive Maßnahme, um darauf hinzuwirken, dass der von konkurrierenden Parteien aufgestellte Kandidat nicht zum Ministerpräsidenten gewählt wird, besteht darin, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Wenn nun die CDU dies tut, könnten der AfD beide Kandidaten nicht passen. Die Reaktion darauf darf aber nicht sein, dass beide Kandidaten mit Nein abgelehnt werden können, sondern die AfD müsste einen eigenen, dritten Kandidaten aufstellen. Tut sie dies nicht, muss sie entweder einen der beiden Kandidaten oder gar keinen wählen.
Angesichts all dieses Durcheinanders versteht die PDS sicherlich die Welt nicht mehr. Solch ein Gedöns hätte es im SED-Staat nicht gegeben: Da brauchten die Untertanen weder Ja noch Nein noch sonst was anzukreuzen, sondern sie lieferten gehorsam vor aller Augen den unveränderten, sorgfältig gefalteten Nationale-Front-Demokratischer-Block-Einheitslisten-Stimmzettel ab und fertig war der Lack. Und wenn die Auszählung nicht auf Anhieb passte, wurde eben ergebnisorientiert nachgebessert. Warum soll die Wahl des Ministerpräsidenten anders ablaufen? Die PDS-Oberen sind von dem ganzen Thema wohl geistig völlig überfordert: Bodo Ramelow rückt höchst vorsorglich von seiner ursprünglichen These, er werde wahrscheinlich erst im dritten Wahlgang gewählt, ab und verlautbart nun, er gehe davon aus, bereits im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Susanne Hennig-Wellsow ist noch geschickter und beschränkt sich darauf, einfach den Text von Art. 70 Abs. 3 Satz 3 ThürVerf nachzuplappern: „Wir teilen die Einschätzung, dass im dritten Wahlgang gewählt ist, wer die meisten Stimmen bekommt.“ Aha, so genau wollten wir es gar nicht wissen, aber da kann sie nichts falsch machen und kaschiert, dass sie keine Ahnung hat, worum es geht - und beweist nebenbei, dass die PDS (entgegen anderslautenden Gerüchten) fest auf dem Boden der Verfassung steht.
In den mehr oder minder sozialen Schwetzwerken, wo man sich normalerweise darüber austauscht, wie spektakulär das eigene Leben ist („Heute habe ich einen Pups gelassen. Wie liked das der Rest der Menschheit?“) wird seit der Landtagswahl heftigst über R2G gezwitschert. R2G hat nichts mit R2D2 und C3PO zu tun, sondern bedeutet Rot-Rot-Grün. Eines hat diese Koalition aber doch mit Star Wars gemein: alles Außerirdische. Möge die Macht nicht mit euch sein!
Diese Landesregierung darf nicht einen Moment zur Ruhe kommen. Sie muss isoliert und ausgegrenzt werden. Sie muss ununterbrochen angegriffen und an den Pranger gestellt werden. Sie muss Tag und Nacht im grellsten Scheinwerferlicht, das nicht einen Augenblick verlöschen darf, bloßgestellt werden. Sie muss gehetzt werden, bis sie atemlos und entkräftet zusammenbricht. Sie muss mit Wogen von Verachtung und Zurückweisung überschwemmt werden, bis die Beteiligten allmählich die Nerven verlieren, bis die Atmosphäre zwischen ihnen verpestet ist von Missgunst und Hass, verzweifelt und vereinsamt in ihrer umzingelten Wagenburg, bis sie beginnen, sich als Feinde gegenüberzustehen und einander zu zerfleischen. Liebe blutrot-rot-grüne Koalition in Thüringen, ich wünsche dir von ganzem Herzen viel Unglück, alles Schlechte und ein kurzes Leben. Die Jagd ist auf!
Allein das in den Abschnitten „Blockwart“ und „Schleimer“ geschilderte Thema (an dem ich mich halb ernsthaft, halb ironisch selbst beteiligt habe), ob denn nun die PDS oder die CDU aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit die Böseren oder die Guteren sind und wer wen weshalb nicht kritisieren darf, allein diese Frage, die in eine endlose, sinnlose, ziellose Nein-doch-Diskussion mündet in der Art des seit Jahrhunderten geführten Gelehrtendisputs, ob die Henne oder das Ei zuerst da war, zeigt, in welch auswegloser Sackgasse Deutschland sich befindet. Es spielt zunächst gar keine Rolle, wer recht hat: ob die DDR ein Unrechtsstaat oder die beste aller Welten war, ob die PDS Fluch oder Segen ist. Was zählt, ist vielmehr, dass dies ununterbrochen zu Unfrieden führt. So kann die Bevölkerung eines Landes nicht auf Dauer zusammenleben. Die Testphase ist nun nach 24 Jahren vorüber, und es muss Bilanz gezogen und eine Entscheidung über den künftigen Weg getroffen werden. Wir dürfen es nicht aus bloßer Sentimentalität so weit kommen lassen, dass in Deutschland britische, belgische, spanische, kanadische Zustände herrschen: permanenter, unterschwelliger Zwist. Beinahe hätte ich gesagt: Früher gab es das nicht. Lohnt es sich, dass wir dies ununterbrochen erdulden müssen nur um der formalen Einheit willen? Überwiegt das Gute der Deutschen Einheit den politischen, den atmosphärischen und den bei jedem einzelnen Menschen entstehenden „nervlichen“ Schaden, der durch den ununterbrochenen Unfrieden entsteht?
In Thüringen wird sich ein tiefer, unüberbrückbarer Graben auftun. In 2 bis 3 Jahren wird nicht - wie Träumerle Bausewein das gerne hätte - der Widerstand gegen die PDS-Regierung im Sande versickert sein, sondern dann wird die Thüringer Bevölkerung gespalten sein in die Anhänger des linken Lagers bestehend aus der umbenannten SED und ihren Kollaborationsparteien SPD und Grüne einerseits und des konservativen Lagers bestehend aus der ehemaligen Blockpartei CDU und der anrüchigen AfD andererseits. Christian Dietrich, Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, mit Bezug auf die gegen die Koalition gerichtete Demonstration am 9. November 2014: „Auf der einen Seite sind diejenigen, die das Ende der Demokratie und den Untergang Deutschlands beschwören, auf der anderen Seite werden Demonstranten als Faschisten gebrandmarkt. In dieser Zuspitzung besteht die Gefahr, dass unsere pluralistische Demokratie Schaden erleidet.“ Diese Spaltung wird sich in ganz Ostdeutschland ausbreiten, umso mehr als die PDS dort künftig noch aggressiver und fordernder auftreten wird. Ich möchte nicht, dass sich dieser Graben, diese Spaltung auf Westdeutschland überträgt. Wie soll das erst nach der Wahl 2017 werden, wenn das linke Lager im Bundestag koalieren wird? Ich möchte nicht in einem zerrissenen Land leben nur um der formalen Einheit willen. Ich bin nicht bereit, das Treiben von SPD und Grünen, die Macht nur um der bloßen Macht willen anstreben, stillschweigend und tatenlos hinzunehmen, damit die Deutsche Einheit um der bloßen Formalität willen nicht zur Disposition gestellt wird.
Nach 25 Jahren scheint immer noch völlig unklar und un(be)greifbar zu sein und wird immer noch hitzig, gar erbittert bis feindselig diskutiert, was die SED-Diktatur war und was die PDS ist. Das ist so, als wäre 1970 immer noch unklar gewesen, was die NS-Diktatur war und was die NSDAP (vielleicht umbenannt in PDNS - Partei des Demokratischen Nationalsozialismus) gewesen wäre, wenn sie nicht sofort nach dem 8. Mai 1945 zerschlagen worden wäre, und was die Sozialistische Reichspartei gewesen wäre, wenn sie nicht schon 1952 verboten worden wäre. Das ist schlichtweg bizarr. Wie lange soll das noch so weitergehen? Wann wird es endlich Normalität geben? Das ist unabsehbar. Ich habe allmählich keine Lust mehr, dieses unaufhörliche, endlose Getue und Gerede über mich ergehen zu lassen (und mich notgedrungen daran zu beteiligen). Ich will endlich meine Ruhe haben. Wenn die Ostdeutschen nach 25 Jahren noch immer nicht annähernd mit der SED-Diktatur und der PDS zurande kommen, dann ist das inzwischen allein deren Problem, nicht meines, nicht das der Westdeutschen.
Die Deutsche Einheit ist gescheitert. Sie hätte das Allerbeste werden können in der deutschen Geschichte, aber das haben die PDS und deren Wähler (vor allem natürlich in Ostdeutschland) sowie die beiden Kollaborationsparteien und deren Wähler, die - teils vorsätzlich, teils fahrlässig - mitschuldig geworden sind, zunichte gemacht. Deutschland als Gesamtstaat funktioniert offensichtlich nicht, er soll wohl nicht sein. Er wurde erst vor 143 Jahren gegründet. Darüber können andere Länder, z. B. Frankreich, die schon seit Jahrhunderten ein Gesamtstaat sind, nur milde lächeln. Wie spielte sich Deutschland ab in diesen rührend wenigen Jahren? Es begann mit dem autoritären, nationalistischen, militaristischen Kaiserreich, das in den Ersten Weltkrieg marschierte und unterging. Danach die Weimarer Republik - ach, mein armer, kleiner Freund, schon todsterbenskrank geboren und dann gemeuchelt von den Nazis mit tatkräftiger Beihilfe durch die Kommunisten. Kein Wort über die nächsten 12 Jahre, wie kann man das je ertragen, wie soll man jemals damit fertig werden, die Bürde und die Düsternis, die Hilflosigkeit angesichts des nicht mehr zu Ändernden, das zähneknirschende „Wie konnte das nur geschehen?“ werden niemals enden. Dann war der Gesamtstaat schon wieder vorüber - für 44 Jahre nach nur 74 Jahren. Die einen hatten unverdientes Glück, die anderen unverdientes Pech. Die Zufriedenheit, in der die Menschen in der alten Bundesrepublik leben konnten, war immer ein bisschen Verrat an den Menschen in der DDR. Dann endlich wie eine Erlösung: die Grenzöffnung und der Untergang der SED-Diktatur, und schier unglaublich: nach nur 11 Monaten die Deutsche Einheit, all das erschien auch als kleiner postumer Sieg über Hitler. Im Vergleich zu 1871 ist das Gebiet des jetzigen Deutschland jedoch nur ein zufälliges Kunstprodukt - Kontinuität nicht einmal in der bloßen Quadratkilometerzahl. Das ist die glorreiche Geschichte von 143 Jahren Deutschland - ein bisschen unbefriedigend. Alles in allem haben wir keine positiven kollektiven Erinnerungen, ist uns Deutschland immer irgendwie ein bisschen peinlich. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass die vor-gesamtstaatliche Ära der idenfikationsfördernde Brüller gewesen wäre. Nur einmal gab es ein goldenes Zeitalter in deutschen Landen: Es begann infolge des Untergangs der römischen Besatzungsmacht um 500 und endete infolge der Niederschlagung des letzten Widerstands gegen die Zwangs-Christianisierung um 800. - Na ja, sollte ein Witz sein.
Die Reste der Drachenbrut sind nicht geschlagen, die drehen jetzt erst so richtig auf: Der glanzvolle Höhepunkt nach 24 Jahren erneuter Einstaatlichkeit besteht nun darin, dass ein gebürtiger Westdeutscher als Mitglied der umbenannten SED Ministerpräsident in Ostdeutschland geworden ist - wir sind eben ein Volk: Da wächst was zusammen.
Ich ertrage es nicht länger. Es ist zermürbend. Es ist tieftraurig. Es ist widerwärtig. Es führt zu nichts. Vor allem zu nichts Gutem. Ich möchte nicht länger in einem Land leben, in dem die umbenannte SED mit Hilfe von SPD und Grünen immer mehr Macht erringt, in einem Land mit zwei Seelen in der Brust, die sich ununterbrochen unausgesprochen voneinander trennen wollen. Was die „Welt“ über die Thüringer Koalition schreibt: „Da lügt sich zusammen, was nicht zusammengehört“, gilt auch für die Deutsche Einheit und deren Verfechter mit ihrem scheuklappenoptimierten Tunnelblick. Jetzt sollten wir es tun, jetzt da es in Thüringen zum Teufelspakt gekommen ist, bevor er 2017 bundesweit eintritt. In analoger Anwendung des im Abschnitt „AfO - Alternative für Ostdeutschland“ zitierten PDS-Positionspapiers möchte ich sagen: Die Westdeutschen haben den politisch-moralisch legitimen Anspruch auf eine antireaktionär-demokratische und nicht-sozialistische Alternative nach 2014. Es hilft nur noch eines: Zweistaatlichkeit. Ostdeutschland und Westdeutschland müssen einander in Frieden und Freundschaft in die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit freigeben.
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Anhang
de Omnibus dubitandum
oder:
Von Herzen mit Schmerzen
Pünktlich zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten ist an den Göttinger Bushaltestellen (und sicherlich auch andernorts) eine Plakatkampagne veröffentlicht worden, die nur eine Deutung zulässt: Die Erfurter Ereignisse haben Thüringens Herz gebrochen.
L'état c'est nous! Die PDS und ihre Kollaborationspartner SPD und Grüne betrachten sich als absolute Herrscher und Thüringen als ihr Eigentum.
Doch 80 % ihrer Untertanen lehnen die blutrot-rot-grüne Koalition ab. - Na und?
Hauptsache, die Machtparteien machen sich selbst den Weg frei. (Aber wer sich heute in der eitlen Unrechtsstaatistenrolle gefällt, ist in 5 Jahren vielleicht weg vom Fenster.)
Wie der Ochs und Esel vorm Berg: In Thüringen geht es endlich aufwärts - für die PDS. (Doch hat sie erst mal den Gipfel überschritten ...)
Sich die bittere Realität schönzusaufen, wäre keine Lösung.
Tränen nutzen auch nichts mehr: Mama, du sollst doch nicht um dein Thüringen weinen.
Kann eine Intensivbehandlung die Heilung herbeiführen?
Hilf doch! Manch einer schwört vielleicht auf eine höhere Instanz (ohne sie beschworen zu haben).
Doch zu spät, jede Hoffnung ist vergebens: Bitte alle aussteigen - Endstation!
Ruhe sanft, Thüringen, du bist das Erste, aber nicht das Letzte.
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Ich danke der Thüringer Allgemeinen (Erfurt) für ihre Webseite www.thüringer-allgemeine.de, durch deren tägliche Lektüre ich seit September den überwiegenden Teil der Informationen und Anregungen erhielt, die ich in diesem Text verarbeitet habe und ohne die er nicht annähernd zustande gekommen wäre.
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(26.12.2018)
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