23.4.2019
Verfranzt
Gregor Gysi kann französisch - nur mit dem Denken hapert 's. Von seiner Kommunistischen Plattform kanzelt er den deutschen Pöbel ab, weil der den 100. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht würdig und angemessen zu begehen weiß. Zu unserer Entschuldigung sei vorgebracht, dass man nicht ununterbrochen Party machen kann: Nach dem zum Erbrechen aufgeblasenen Luther-Spektakel 2017 kam 2018 irgendwas mit Karl Marx (200 Jahre Revoluzzion in Trier oder was weiß ich), und in diesem Jahr sollen wir schon wieder vermeintlich wichtigen Verblichenen, die allen vernünftigen Menschen nur ein genervtes Gähnen abringen, huldigen? Unsere Liebe Frau Rosa Luxemburg müsste geradezu angebetet werden, wenn es nach Gysi ginge, denn sie habe „demokratische Thesen“ aufgestellt und sich „kritisch“ mit der Oktoberrevolution auseinandergesetzt - boah, geil ey! Luxemburg war demzufolge eine lupenreine Demokratin, woraus zu schließen ist: Wäre sie nicht ermordet worden, hätte sie mit leichter Hand dafür gesorgt, dass aus der Lenin'schen Diktatur eine Musterdemokratie und aus dem Roten Terror ein Wohlfahrtsverein geworden wäre. Die sowjetische Okkupation Osteuropas und Ostdeutschlands hätte niemals stattgefunden, die DDR hätte es niemals gegeben - und Gregor Gysi hätte nicht Karriere als Notar gemacht, sondern wäre nur einer unter zahllosen, x-beliebigen Wald- und Wiesen-Rechtsanwälten geworden, die es wie Sand am Meer gibt. Bloß das nicht! Tatsächlich müssen Gysi und alle anderen Linksradikalen den Rechtsradikalen aus tiefstem Herzen dankbar sein, dass diese ihnen zwei Kultfiguren und Märtyrer frei Haus lieferten. Man stelle sich vor, „Rosa“ und „Karl“ (links ist Kitsch) hätten weitergelebt: Dann wären sie auf ihre alten Tage im Hotel Lux gelandet, dort hätte Walter Ulbricht sie erschießen lassen, und heute würde kein Hahn mehr nach ihnen krähen - voll uncool!
In einem Deutschlandfunk-Gespräch am 13. Januar gibt Gysi mal wieder den Helmut Schmidt für Arme: Wenn es nach ihm ginge, müssten die Linken auch konservative Persönlichkeiten ehren, und die Konservativen müssten auch Persönlichkeiten wie Luxemburg und Liebknecht ehren. „In Frankreich wäre das unkompliziert, aber in Deutschland - oh je!“ Tja, uns hilft kein Jesus und kein Marx, lautete schon ein Buchtitel in den Siebzigerjahren. Als Beleg dafür, wie die blöden Boches es richtig machen sollten, führt er ein Beispiel an, das er in seiner Anmaßung und Realitätsferne für ein Hochlicht der Überzeugungsrafinesse hält, das perfekte Totschlagargument, womit er sich aber bloß der Lächerlichkeit preisgibt und mild-amüsiertes Kopfschütteln hervorruft: „Wissen Sie, was die Franzosen im Kopf fertigkriegen? Die lieben Napoleon und Jeanne d'Arc. Man kann sich ja kaum zwei Leute vorstellen, die sich mehr voneinander unterscheiden. Wie kriegen die das hin - und warum kriegen wir das nicht hin?“ Dabei muss er über seine eigene Witzigkeit lachen, der kleine Schelm, und die Journalistin stimmt höflich mit ein.
Wie die Franzosen das hinkriegen? Diese Frage stelle ich mir fassungslos ebenfalls. Von der Antwort sollte man besser absehen - sie hätte etwas mit blindem Nationalismus zu tun. Überdies: Jeanne d'Arc und Napoleon seien unterschiedlich gewesen? Unfug, beide waren aus exakt demselben Holz geschnitzt: Größenwahn, Gewalt und Hurra-Patriotismsus. Warum kriegen wir das nicht hin? Wir deutschen verantwortungsbewussten Demokraten stehen weder auf Dikatoren und Kriegstreiber noch auf Fanatikerinnen, die Religion, Machtpolitik und Militarismus vermengen.
Und noch etwas, Herr Gysi: Bitte unterlassen Sie solch widerwärtig schleimige Vertraulichkeiten. „Wir“ gibt es nicht. Zwischen Ihnen und Ihresgleichen einerseits und mir und meinesgleichen andererseits gibt es keine Gemeinschaft. Aber, Herr Gysi, warum in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah: Auch hierzulande gibt es Konservative, die total auf Linksradikale abfahren und damit den popligen Deutschen zeigen, was eine Toleranz-Harke ist: CDU-Funktionäre, die nichts lieber täten, als mit der PDS zu koalieren. In Ostdeutschland. Lieberknecht als Liebknecht - die Zeiten sind vorbei.
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