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8.7.2020

Von Viren und Menschen

Lockerungdown - weniger ist mehr! Die Coronakrise verlangt Verzicht von uns allen, die Welt ist beengt und voller Stolpersteine, das Leben köchelt auf Sparflamme. Besonders hart hat es Thüringen getroffen: Hier gibt es bloß eine Minderheitsregierung. Bodo Ramelow, der dazugehörige Minipräsident, macht nun Lockerungsübungen, um die Einschränkungen aufzuheben. Ein unverantwortlicher Sonderweg wie in Schweden? Weder noch: Dort sind staatliche Maßnahmen überflüssig, denn in Schweden waltet von Natur aus eiserne Disziplin, und die Menschen sind Entbehrungen und Entschleunigung gewöhnt - schließlich muss jeder Geschlechtsverkehr von Greta Thunberg genehmigt werden. Ramelow stellt der Pandemie die unbesiegbare Kraft des Sozialismus entgegen. Er hat es nicht nötig, die hektischen, unprofessionellen Maßnahmen der übrigen Bundesländer abzukupfern, denn seine Partei, die antikapitalistische Linke, verfügt über fundierte praktische Erfahrungen im Krisenmanagement, die sie nun aus der Mottenkiste holen kann: Auch im SED-Staat gab es mal eine schwerwiegende Ausnahmesituation - die währte sogar 44 Jahre. Insofern ist Angela Merkel zu korrigieren: Nicht Corona ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern das war die SED-Diktatur, die durch das gemeinsame solidarische Handeln der DDR-Bürger in die Knie gezwungen wurde. „Wir sollten uns nicht nur vor Computerviren schützen, wir sollten endlich lernen, die Menschen vor Viren zu schützen“, verlautbart Ramelow. Sie meinen, dieser Satz sei an Dümmlichkeit und Trivialität nicht zu überbieten, unterstes FriFoFu-Niveau? Falsch, man muss den historischen Kontext berücksichtigen. Im SED-Staat herrschte ebenfalls eine permanente Gefahrenlage: nicht für die Menschen, sondern für das Regime; nicht durch Viren, sondern - ungleich gefährlicher und unberechenbarer - durch die Menschen. Diktatoren können sich ihre Untertanen nun mal nicht aussuchen. Das SED-Regime lebte in beständiger Angst davor, dass sich in den Menschen Antikörper bilden könnten, die sie gegen die ideologische Durchseuchung immun machten und irreversible Abstoßungsreaktionen hervorriefen.

Bei oberflächlicher Betrachtung bestehen gewisse Parallelen zwischen den damaligen Zuständen und den jetzigen Gegebenheiten, doch die Methoden des SED-Regimes waren natürlich ungleich effizienter: Die Wirtschaft lag nicht nur vorübergehend am Boden, sondern ununterbrochen. Die Autoproduktion war auf zwei, besser gesagt: anderthalb Modelle reduziert und konnte allein mit massiver staatlicher Hilfe notdürftig aufrechterhalten werden. Außer den notwendigsten Lebensmitteln gab es kaum etwas zu kaufen, vor den Läden Schlange stehen war erste Bürgerpflicht, und ohne Hamstern ging es nicht. Heute Klopapier, damals Bananen: Fehlanzeige. In der Gastronomie galt strikte Abstandsregel: Draußen nur Kännchen. Kurzarbeit mit 60 % Stütze (typisch Kapitalismus) und Homeoffice gab es nicht, vielmehr ging das seinen sozialistischen Gang: Wenn infolge Materialmangels die Produktion lahmgelegt war, werkelte man stattdessen zuhause herum, bei vollem Gehalt - war eh alles Staatsknete. Der Tourismus war begrenzt auf die Ostblock-Bruder*innenländer. § 213 Strafgesetzbuch enthielt eine dauerhafte, weltweite Reisewarnung: „ungesetzlicher Grenzübertritt“ (vulgo Republikflucht). Menschenansammlungen waren verboten, Demonstrationen lediglich am 1. Mai und 7. Oktober zulässig. Statt Corona-App gab es Stasi-Wanzen. Um die Diagnose zu stellen, bedurfte es keines tiefen Rachenabstrichs: Wer nur den Mund aufmachte, war schon ein Verdachtsfall und wurde sofort in Quarantäne verfrachtet - nach Bautzen und Hohenschönhausen. Anstelle Mundschutzes wurde dem Volk ein Maulkorb verpasst. Immerhin die Gedanken waren frei, niemand konnte sie erschießen. Therapieresistente Fälle mit aussichtslos infauster Prognose wurden an Ort und Stelle zwangsgeimpft. Inkorporal. Mit Blei.

Shot down.

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