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5.9.2018

Mein progressiver asexistischer Alltag

Frühlingserwachen! Aber das Einzige, was ich verspürte, war, dass irgendetwas fehlte, und mir wurde klar: Das Sexismus-Metoo-Thema war verschwunden. In der Rückschau ist das nicht verwunderlich, denn genau genommen spielte es sich doch in sehr weiter Ferne ab: Ein gewisser Harvey Weinstein, der wohl ein dicker Brummer in der amerikanischen Filmbranche war, den wir vorher nicht kannten, der für uns völlig belanglos ist, von dem wir so oder so nie mehr etwas hören werden, hatte sich, nicht nur im Ton, gegenüber weiblichen abhängig Beschäftigten vergriffen. Wir verstanden zwar nicht so recht, warum wir uns dafür interessieren müssen, aber da die Medien und Meinungsabsonderer und -innen von nichts anderem sprachen, musste es wohl weltbewegend sein. Na ja, Hollywood klang ja auch total cool: Glitzer, Glanz und Glamour und jede Menge Stars. Hätte es sich um ethisch verwerfliches, dem westlichen zivilisatorischen Niveau zuwiderlaufendes, gar strafbares sexuelles Fehlverhalten im schummrigen Milieu der südniedersächsischen Verwaltungsbeamtenschaft gehandelt, würde das kein Schweinstein interessieren (schon mal gar nicht in Kalifornien).

Dann rückte das Thema etwas näher, wurde ein wenig greifbarer, als die Dieter-Wedel-Affäre aufbrach. Ja gut, die Bad Hersfelder Festspiele sind nicht die Dream Factory, aber allemal besser als gar kein Skandal, und es kommt nicht auf die Größe an. Außerdem existiert dergleichen in Amiland überhaupt nicht. Die Theater- und Orchesterlandschaft welcher Nation wurde denn unlängst für das Immaterielle Kulturerbe der Unesco vorgeschlagen? Na also! Überdies haben wir die Berliner Filmfestspiele: Hier trifft sich die internationale Elite der Filmkunst. Etwas Gleichwertiges können die USA nicht vorweisen. Die Oscar-Verleihung ist doch nur eine narzisstische Selbstbeweihräucherung, mit Trostpflästerchen für die armen Verwandten aus dem unbedeutenden Rest der Welt: der Oscar für den besten fremdsprachigen Film - wie gönnerhaft, merci vielmals.

Die diesjährige Berlinale war bereits auf der Höhe der Zeit: Zwar wurde der Vorschlag, den sexistischen roten Teppich gegen einen feministischen schwarzen auszutauschen und die männlichen Stare barfuß auf einem Fühlpfad aus Reißzwecken, Glasscherben und glühenden Kohlen antreten zu lassen, noch nicht umgesetzt, aber dem gewohnten hohlen Schönheits-Körper-Kult hatte frau machtvoll Einhalt geboten: Die Schauspielerin Anna Brüggemann rief die Aktion „No body is doll“ ins Leben, womit sie uns sagen wollte, dass auch die scheinbar perfekt geformten, aufgebrezelten Filmstarinnen ihre Problemzonen haben. Brüggemann z. B. leidet anscheinend unter Hornhautzehen und Hühneraugen, weshalb sie sich ihren Fans und Fanzinen in bequemen Turnschuhen präsentierte. Die selbsternannten Sittenwächter und -innen beäugten peinlichst genau, ob die weiblichen Anwesenden schwarze oder bunte Unterwäsche trugen. Auch die Conférence appellierte nicht mehr an niederste männliche Instinkte wie kurz zuvor beim Deutschen Fernsehpreis: Nie wieder halbnackte Tänzerinnen und Barbara Schöneberger mit ihren dicken Dingern, die uns allmählich zum Halse heraushängen. Anke Engelke war da ein ganz anderes Kaliber: Sie brachte äußerstenfalls solche Männer in Wallung, die auf üppige Stirnfalten stehen.

Unterm Strich war all dies für uns popelige Kleinbürger und -innen aber doch ziemlich frustrierend. Wir, die wir nicht von Scheinwerfern angestrahlt werden, über die kein Blitzlichtgewitter niedergeht, denen niemals ein roter oder schwarzer oder sonst ein Teppich ausgerollt wird, sondern die ihr ganzes elendes Dasein tagein, tagaus auf Auslegeware vom Baumarkt fristen müssen, wollten uns nicht auf ewig die Nase an der Fensterscheibe der Schönen, Reichen und Berühmten platt drücken. Und so versickerte das Thema langsam, aber sicher im Sande. Bis zum 7. April. Da ließ die SZ den flügellahmen Phönix aus der Asche des Vergessens wiederauferstehen: „Der sexistische Alltag: Die «Me Too»-Debatte kreiste bislang vor allem um Filmstars und Prominente. Aber wie geht es eigentlich in Krankenhäusern, Vorzimmern und Kneipen zu? 14 Frauen erzählen.“ Na endlich, das sogenannte Leben spielt sich also doch nicht nur in Hollywood ab. Sondern auch in Wanne-Eickel. Vielleicht sogar in Göttingen?

Diese dringend nötige Klarstellung kam genau im richtigen Augenblick, denn die - natürlich von der Springer-Presse aufgestachelten - reaktionären Macho-Kräfte waren aus dem Winterschlaf erwacht und rüsteten zur Gegenoffensive: Auf dem Titelbild der „Welt“ am selben Tag fläzte sich so ein widerlicher Paschatyp im Garten der Lüste, um es sich besorgen zu lassen, umgeben von Sextoy-Symbolen: Gießkanne, Rechen, Harke, Spaten, Heckenschere. In der Bildunterschrift ging es natürlich nur um das Eine: vertikutieren. Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber sicherlich ist das wieder so eine sexistische Anspielung wie „den Garten angraben, die Scholle beackern, den Rasen begießen“.

Auch ich will nun im Wege der Selbstanzeige reumütig ein Geständnis ablegen, obwohl meine Erfahrungen mit Sexismus etwa so tiefschürfend sind wie Ephraim Kishons erste und einzige Begegnung mit der Prostitution, die sich (frei zitiert) wie folgt abspielte: „Ich war auf dem Weg zu Herrn Dr. Grünstein und etwas in Eile, da schon spät dran, als mich an einer dunklen Straßenecke eine weibliche Stimme ansprach: Na, Süßer, wohin denn so eilig? Zu Herrn Dr. Grünstein, antwortete ich wahrheitsgemäß - und ging weiter.“ Und ich stand auf. Wortlos. Nachdem ich eine junge Frau befußelt hatte. Ohne ihr Einverständnis. In der Mensa. Mitte der 80-er. Damals trug ich während der Arbeit Latschen, so Dinger, die nur aus einem fußgerecht geformten Stück Holz und einem Riemen bestanden. Als mich einmal der kleine Sohn eines Kollegen darin sah, starrte er fassungslos darauf und platzte dann entgeistert heraus: „Mit das lauft der?“ In der Mensa hatte ich die Angewohnheit, aus lauter Langeweile - Nahrungszufuhr ist nun mal reine Zeitverschwendung - mit den Zehen an den Holzpantinen herumspielen. Einmal aber waren es gar nicht meine Latschen ... So, nun ist es raus. Ich kann von Glück sagen, dass ich beruflich kein Überflieger bin. Hätte ich Karriere gemacht, wäre gar ein Promi geworden, so könnte mir das damalige Ereignis heute das Genick brechen.

Umgekehrt ist übrigens auch nicht viel gelaufen. Einmal während eines Betriebsausflugs Mitte der 80-er (war wohl meine total wilde Phase) öffnete eine Kollegin meinen Hemdkragen - und legte ihn über den Pulloverkragen. Aber das war wohl weniger Anmache, als das Bemühen, mich zu bemuttern und fein herauszuputzen wie Klein-Bubilein, wenn die Großtante zu Besuch kommt.

Inzwischen, die Rente im Blick, habe ich die Hoffnung auf sexuelle Belustigung am Arbeitsplatz endgültig aufgegeben. Ich bin wohl im falschen Film.

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(5.9.2018)

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