12.1.2019
K(r)amp(f)ansage
Ich weiß, das Leben ist scheiße. Sehe ich ja genauso: trivial, öde, nichtig, banal, stinklangweilig. Um diesem Menschheitsfluch zu entrinnen, flüchten sich viele in Spiritualität, Esoterik, Satanismus, das Treiben des Hochadels und in Verschwörungstheorien (der Klassiker, die Mondlandungen seien in einer höchst irdischen Wüstenei inszeniert worden, wird übrigens dieses Jahr 50). Wer schnelle Wirkung braucht, pumpt sich mit Alkohol und Cannabis voll. Extrem tragische Einzelschicksale - schier unglaublich - glauben sogar an Götter. Aber wir aufgeklärten Rationalisten? Wir haben unsere ganz eigenen Royals, einen Pantheon, um den uns die Antike beneiden würde: Berufspolitiker. Dank ihrer dürfen wir sterblichen Erdlinge großer, der Ewigkeit überantworteter Augenblicke der Geschichte teilhaftig werden, von denen das Weltall widerhallt, noch in Äonen kündend, wie die Hintergrundstrahlung des Urknalls. In den letzten Monaten haben diese über- und außerirdischen Wesen es uns mal wieder so richtig volle Kanne besorgt. Es begann am 29. Oktober im Jahre des Herrn 2018: Plötzlich stand die Erde still, die Sonne erlosch, die Himmel verfinsterten sich, das Weltgebäude stürzte ein: Angela Merkel verkündete, nicht mehr CDU-Vorsitzende sein zu wollen. So pocht das Schicksal an die Pforte, und wir alle blickten in den Abgrund. Dieser Tag - „Jammer genug“ - werde in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen, raunten uns düster die Medien, dem Chor altgriechischer Tragödien gleich. Wir glaubten es nur gar zu gern: Wie groß und erhaben plötzlich alles war - und wir konnten live dabei sein. Wahrlich, wenn die Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands nach 18 Jahren aus dem Amte scheidet, geht eine Epoche zu Ende (und ob jemals wieder eine neue beginnen kann, ist ungewiss).
„Ich bin mir bewusst, dass ein solches Vorgehen in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist“ - dass jemand in Rente geht? Wirklich rührend, für wie wichtig und unentbehrlich Merkel sich und ihresgleichen hält. Es ist zwar Blasphemie, aber legen wir einfach mal menschliches Maß an: Angela Merkel wurde am 17.7.1954 geboren. Demnach endet ihr Arbeitsleben regulär am 31. März 2020. Wann findet die nächste Bundestagswahl statt? Im Herbst 2021 (na ja, regulär). Sie wird also aus freien Stücken erst 18 Monate später als Bundeskanzlerin in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Respekt! Zum Ausgleich gönnt sie sich 15 Monate früheres Ausscheiden als Parteivorsitzende. Was also ist Weltbewegendes an all dem? Wenn die SPD alle naselang ihre Vorsitzenden auswechselt, kräht doch auch kein Hahn danach (es kräht natürlich auch sonst kein Hahn nach der SPD, aber trotzdem - selbst wenn). Weiß denn noch irgendjemand auf Anhieb, wer alles in den letzten 18 Jahren SPD-Chef war? Schröder, Müntefering, Platzeck (bitte wer?), Beck (???), Müntefering 2.0, Gabriel, Schulz (äh ...), Scholz (mit „o“), Nahles.
Bis zur nächsten Bundestagswahl sind Parteivorsitz und Kanzleramt endlich nicht mehr in einer Hand. Wenn Parteivorsitzende gleichzeitig Regierungsschef sind, müffelt das nach totalitärer Staatspartei. Parteivorsitzende müssen programmatisch denken, Regierungsschefs müssen pragmatisch handeln - beides ist unvereinbar. Die Trennung von Parteiamt und Regierungsamt gehört eigentlich zur Gewaltenteilung und ist daher ein unbedingtes republikanisches Gebot. Im Übrigen ist auch das Phänomen „Berufspolitiker“ abzulehnen, das hat so etwas latent Unrepublikanisches. Politische Funktionen sollten immer nur vorübergehend sein, quasi ein Ehrenamt, das man zeitweise ausübt, und danach kehrt man wieder in die Normalität zurück.
Auf die Göttindämmerung folgte der Kampf der Titanen - Sex and Drugs and Rock 'n' Roll. Na ja, zumindest irgendwie ein klein wenig Letzteres: Wie eine Rockband (O-Ton Spahn) tourte der flotte Dreier durch die Lande. Hatte was von amerikanischem Vorwahlkampf. Nur noch langweiliger. Beim Abschlusskonzert am 7. Dezember wurde sie dann zur Frontfrau gewählt (und wieder erzitterte das Firmament). Ob Annie Cramp-Cartwright für die CDU eine Bonanza sein wird, ist jedoch völlig unerheblich. Es zählt allein, wie die CDSU in zwei Jahren die (AK)K-Frage beantwortet: Im Merz der Bauer den Karren anspahnt. Vielleicht kommt es dann zum Annegrexit. „CDU und CSU sind das letzte Einhorn in Europa, die letzte große existierende Volkspartei. Ich will, dass das so bleibt.“ Demnach ist Europa vom Stier aufs Einhorn abgestiegen - kein Karrieresprung. Allüberall tönen die Durchblicker, Märchentante Annegret sei nur ein Klon. Stimmt - von Senatorin Leon, Mitglied der Erdregierung in „Traumschiff Surprise“. Und ein Jux obendrein. Oder glauben Sie im Ernst, dass es einen solch beknackten Namen in echt gibt? Na also!
Die CDSU setzt den Wählern die Pistole auf die Brust: „Wen wollt ihr denn sonst wählen, etwa SPD und Grüne: die Vereine der Freunde und Förderer der PDS?“ SPD und Grüne tun das Gleiche: „Wen wollt ihr denn sonst wählen, etwa den konservativen Block aus CDSU und FDP?“ Man könnte natürlich sagen: Besser ein Karrenbauer als ein Wagenknecht, doch das darf nicht die einzige Alternative für Deutschland sein. Die Republik hat weit Besseres verdient, als zu den Erblanden der CDSU zu verkommen. CDU und CSU sind die Parteien der Nachkriegszeit, die damals ihre Berechtigung und Aufgabe hatten. Nun haben sie 70 Jahre auf dem Buckel und sollten es Merkel gleichtun. Auch wenn der/die/das neue Vorsitzende Kramp-Spahnmerz hieße - nach Adenauer, Kohl und Merkel ist der Zenit der CDU überschritten, da kommt nichts mehr. Will die CDSU 150 Jahre alt werden wie die SPD (die rätselhafterweiser damit prahlt, obwohl es nur peinlich ist)?
Konsequenz und einzige Lösung: Wir brauchen eine neue Partei. Eine fortschrittliche, weltoffene Partei, ohne linken Ballast und ohne religiösen Ballast, die auf drei Säulen gründet: Vernunft, Anstand, Würde; die SPD und Grüne ablöst und für immer aus der Geschichte entlässt; die unter keinen Umständen mit antidemokratischen Parteien koalieren würde; die das stabile Fundament der freien Gesellschaft freier Menschen repräsentiert; die etwas Neues ist: für Deutschland und für Europa; die natürlich weder links oder rechts ist, aber auch nicht die schwabbelige Mitte. Das zweidimensionale Links-rechts-Mitte-Koordinatensystem zeugt lediglich davon, dass die bisherigen Parteien allesamt Flachpfeifen sind. Die Avantgarde hingegen denkt und handelt dreidimensional - sie ist oben und vorn.
Und die Wahlbeteiligung muss drastisch steigen, um PDS und AfD kleinzukriegen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese beiden sog. Parteien unsere Demokratie und unser zivilisatorisches Niveau, unsere wertvollsten Lebens-Mittel, in den Morast, aus dem sie kommen, hinabzerren und darin ersticken.
Deutschland benötigt einen Neustart, um sich aus der Zeitschleife zu befreien. Anderenfalls werden wir für alle Zukunft dort leben, wohin die Apollo-Moonwalker niemals gelangten: hinter dem Mond.
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(13.1.2019)
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