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27.12.2018

Leitkulturrat

Modern Talking. Ich weiß, eigentlich soll man sich nicht zu Dingen äußern, von denen man keinen blassen Schimmer hat. Daher bin ich als Nicht-Ferngucker, der ich mein Lebtag noch keine Redeschau gesehen habe, für dieses Thema denkbar inkompetent. Aber dennoch: Anfang Juni wurde der ARD und dem ZDF vom Deutschen Kulturrat in Gestalt seines Chefs Olaf Zimmermann empfohlen, ein Jahr lang keine Talkshows mehr zu senden. (Sie brauchen sich weder zu schämen noch zu verstellen: Kein normaler Mensch hat je zuvor vom Deutschen Kulturrat gehört, ich auch nicht.) Begründung: „Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen.“ Wohlgemerkt: Der Kultur-Olaf warf ARD und ZDF nicht vor, in den 100 Sendungen zum Genozid an Muslimen im Allgemeinen und Flüchtlingen im Besonderen aufgerufen zu haben, sondern ausschließlich, dass sie sich überhaupt mit diesen Themen befassten. Diese Argumentation erinnert an die Behauptung von anno niemals, durch den Euro hätten sich alle Preise verdoppelt. Das bewirkte aber nicht der Euro, sondern geldgieriges Bürgergesindel, das seinen Profit maximierte. Dem Kulturrat geht es weder um Toleranz und gesellschaftlichen Frieden noch darum, die Republik zu schützen, sondern er will ausschließlich sein harmoniesüchtiges, kleinkariertes, autoritäres Weltbild bewahren. Wahrscheinlich ist das auch ein zickiger Reflex darauf, dass die Kulturfuzzis und -tussis niemals zu Talkshows eingeladen werden, um ihre Heilsbotschaften zu verbreiten. Die Sichtweise des Kulturrats hat den diskreten Charme einer „gelenkten Demokratie“. Wenn die Festlegung, was die Medien veröffentlichen dürfen, allein mit Blick darauf getroffen würde, ob die AfD es für ihre schädlichen, schändlichen Zwecke verdrehen könnte, um damit ihre Giftbrühe zu würzen und Stimmen zu fangen, wäre das der Beginn der AfDisierung der Gesellschaft, der Unterwerfung gegenüber den völkischen Nationalisten. Damit wäre das Weltbild der AfD endlich doch noch bestätigt: Lügenpresse.

Bislang hat sich die AfD mit ihrer milde belächelten Lügenpresse-Kampagne als zahnloser Papiertiger erwiesen - Luschen, Loser, Vollversager, so richtige Nichtskönner, die nullkommanix auf die Reihe kriegen, große Klappe, nichts dahinter. Der Kulturrat hat ihnen nun gezeigt, was eine Harke ist, wie man wirklich mit den Medien umgehen muss, wenn einem deren Arbeit nicht in den Kram passt: verbieten. Angesichts dessen müssen die AfDler grün, pardon: braun vor Neid werden. Davon können sie sich ein paar dicke Scheiben abschneiden - vom Kulturrat lernen, heißt siegen lernen.

Der Kulturrat offenbart ein nicht unoriginelles Verständnis von Journalismus: Er wirft ARD und ZDF nicht vor, dass die Talkshows an sich qualitativ inakzeptabel seien (schlampig recherchiert, oberflächlich, billig präsentiert u. dgl.), sondern er beschränkt sich auf deren angebliche AfD-Wirkung. Dies bedeutet: Gäbe es die AfD nicht (man wird ja mal träumen dürfen), wären die Sendungen für den Kulturrat völlig in Ordnung. Erst dann, wenn er als selbstberufener Zensor daherkommt und behauptet, bestimmte Sendungen würden von einer inakzeptablen Partei für ihre Zwecke missbraucht, sollen sie plötzlich auf den Index gesetzt werden. Die angebliche Hilfe für die AfD bestand jedoch nicht darin, dass die Moderatoren und ihre Gesprächspartner allesamt die AfD-Fahne schwenkten, AfD-Parolen grölten und Parteiaufnahmeanträge verteilten. Vielmehr behauptet der Kulturrat lediglich, das Thema „Flüchtlinge und Islam“ an sich habe der AfD genützt. Genauso gut könnte er den Sendern unterstellen, durch Berichte über Donald Trump den Antiamerikanimus anzufachen und durch Berichte über Wladimir Putin eine Massenpanik zu verursachen: „Die Russen kommen!“ Dürfen sexuelle Themen nicht mehr behandelt werden, weil dadurch Vergewaltiger ermutigt werden könnten? Darf nicht mehr über G20-Gipfel berichtet werden, weil dadurch autonome Linksfaschisten aufgestachelt werden könnten? Egal ob der abgetakelte Alexander Gauland - Birdshit happens - oder das knackige Nikabmädchen Nora Illi dummes Zeug quatschen: Es kommt angeblich immer der AfD zugute. Solche unidirektionalen Kausalitäten sind jedoch nichts Neues: Tritt ein CDU-Politiker in einer Talkshow auf, nützt das der CDU. Tritt hingegen ein SPD-Politiker auf, nützt das der CDU. Und letztlich: Der behauptete Nutzen für die AfD ist nicht beweisbar, vielleicht nur paranoid phantasiert. Aber allein darauf gründet der Kulturrat seine dreiste Forderung, eben mal ein Jahr lang keine Talkshows mehr zu senden.

Der Kulturrat greift im Übrigen viel zu kurz: Hat er mal durchgezählt, in wie vielen Fernsehsendungen auch Folgendes behandelt wurde: Abschaffung des Bargelds, EU, Euro, Brexit, innere Sicherheit, Familienpolitik, Volksabstimmungen, Direktwahl des Bundespräsidenten, ständiger Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, Wehrpflicht, TTIP, Frauenquote, organisierte Kriminalität, doppelte Staatsbürgerschaft, Bachelor- und Masterstudium, erneuerbare Energie, Privatisierung der Wasserversorgung, Leitkultur, Rundfunkbeitrag, Steuervereinfachung, Mindestlohn, Krankenhausfinanzierung, alternative Medizin, ärztliche Versorgung auf dem Land, Lärmschutz, Verbraucherschutz, Tierschutz, Gentechnik, Maut, Wohnungsbauförderung u. v. a. m. - Wassermassen auf die Mühlen der AfD; alles Themen, mit denen sie sich auf ihrer Webseite (mal pro, mal kontra) als Retterin des Vaterlandes anpreist. Gar nicht auszudenken, wie viele zusätzliche Wählerstimmen es ihr einbrachte, indem Fernsehsendungen sich mit diesen Themen befassten.

Die Talkshows hätten die AfD bundestagsfähig gemacht - wie das? Haben sämtliche Talkshow-Gucker AfD gewählt, sehen also ausschließlich völkische Nationalisten Talkshows? Oder haben nur 12 % der Zuschauer AfD gewählt, die übrigen 88 % sind aber vernünftig und anständig geblieben (die PDS-Wähler lassen wir der Einfachheit mal außer Acht)? Dürfen demnach diese 88 % keine Talkshows mehr sehen, weil 12 % falsch darauf reagieren? Bestimmen künftig die Bescheuerten das Fernsehprogramm? Will der Kulturrat höchst vorsorglich sämtliche Menschen unter Generalverdacht stellen - ist er homophob? (homo = lat. Mensch.) Alle Muslime sind Terroristen, alle Nicht-Muslime sind Dumpfbacken und Feinde der Demokratie - so hat jeder sein passendes Weltbild.

Hinter der Haltung des Kulturrats steht unausgesprochen der Populismus-Vorwurf. Der Begriff „Populismus“ aber beruht auf Verächtlichkeit und Überheblichkeit, denn diese flotte Floskel ergibt nur dann einen Sinn, wenn eine der folgenden Varianten zutrifft: a) Allein völkische Nationalisten (die PDS lassen wir der Einfachheit mal außer Acht) kommen mit ihrem verlogenen Gewäsch beim Volk an, da das gesamte Volk von Natur aus bescheuert ist. b) Nicht alle sind bescheuert, aber allein die Bescheuerten sind das Volk. Die übrigen 88 % sind irgendwie was anderes, wahrscheinlich von edlerer, überlegener Rasse als der gemeine Pöbel. Wieder einmal zeigt sich: Demokratie und Pluralismus spielen ausschließlich deren Feinden in die Hände. Nur infolge freier Wahlen und der Meinungsfreiheit gelangte die AfD in den Bundestag. Hätte es im Kaiserstaat einen Hitler samt Kumpane gegeben? Na also! Deshalb darf das niedere Volk mit Demokratie und Pluralismus nur sehr indirekt in Berührung kommen, es muss auf Distanz gehalten werden, wie gegenüber der Mona Lisa im Louvre: hinter Panzerglas, anfassen verboten, und wahrscheinlich ist es eh nur eine Kopie, während das Original sicher im Keller verwahrt ist.

Der Vollständigkeit halber ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass der Kulturrat sich durchaus nicht in dem AfD-Aspekt erschöpfte. Vielmehr verlautbarte Zimmermann des Weiteren: „Die Spaltung der Gesellschaft hat seit 2015 deutlich zugenommen. Gestern Abend wurde in der Talkrunde im Ersten [Maischberger 6.6.2018] allen Ernstes schwerpunktmäßig über das Händeschütteln als einen vermeintlichen Ausdruck deutscher Kultur debattiert. Ich finde, die Talkshows im Ersten und im ZDF sollten sich eine einjährige Auszeit nehmen und ihre Konzeptionen überarbeiten. Vielleicht wird die talkshowfreie Zeit der Integration in unserem Land nützlich sein?“ Schwamm drüber - dieses schwammige Genuschel ist weder kritisierbar noch satirefähig.

Das aber sollte ich ohnehin tunlichst unterlassen, denn mit Sicherheit bin ich schon jetzt auf die schwarze Liste geraten. Bevor mir der Kulturrat nun ein Jahr Schreibverbot aufbrummt, nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil: Alle Macht den Kulturräten! Nicht nur ein Jahr lang keine Talkshows, sondern permanent überhaupt keine politischen und gesellschaftlichen Themen, denn das unmündige Volk reagiert nun mal immer falsch. Sämtliche Fernsehprogramme müssen zunächst dem Kulturrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Kulturattachés in allen Redaktionen - nicht nur im Fernsehen, sondern in sämtlichen Medien.

Wie lässt sich verhindern, dass die AfD 2021 wieder in den Bundestag gelangt? Nicht verzagen, Kulturrat fragen: Ein Jahr lang werden sämtliche Wahlen ausgesetzt. Die bisherigen Bundestagsabgeordneten müssen ausscheiden, da ihre Amtszeit abgelaufen ist, und neue werden nicht gewählt. Die Gesetzgebung übernimmt kommissarisch der Kulturrat (dann ist auch endlich Schluss mit der Überhang- und Ausgleichsmandat-Inflation). Eigentlich braucht er lediglich ein einziges Gesetz zu erlassen: „Gesetz zur Behebung der Not von Volk, MigrantenInnen*innen_innen und Staat“. Alles Weitere fluppt dann wie von selbst.

Als Krönung wird unser Land umbenannt: KRD - Kultur-Räterepublik Deutschland.

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