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11.4.2020

Die Unverbesserlichen - nichts dazugelernt

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

vielen herzlichen Dank für diese überaus gelungene, feinsinnige Beleidigung. Das ging natürlich superschnittig von den Lippen, gleichermaßen flott wie düster raunend, am 23. Januar in Yad Vashem vor den Augen und Ohren der Welt: Sie könnten nicht sagen, wir Deutschen hätten für immer aus der Geschichte gelernt, wenn Antisemitismus in Worten und Gewalttaten sich ausbreite. Wie nice, dass Sie damit unausgesprochen behaupten, das moralische und zivilisatorische Niveau der aufrechten Deutschen werde von Rechtsradikalen und Neo-Nazis definiert. Die reiben sich jetzt genüsslich die Hände, fühlen sich geschmeichelt und bestätigt, geradezu geadelt, dass sie allein für die Deutschen stehen und deren Bild prägen; dass das, was sie als „Schuldkult“ verunglimpfen, sich infolge ihres Unwesens als so instabil, so ungefestigt und substanzlos zu erweisen scheint; wie wenig die überwältigende Mehrheit zählt (die Sie in Ihrer Rede ebenso unerwähnt lassen wie die friedfertigen 75 Jahre).

Dies fügt sich ein in den Zeit-Ungeist, Mätzchen und Partikularinteressen dummdreister Minderheiten als maßgeblich und vorrangig in den Vordergrund über die legitimen Interessen und das unideologische Wertesystem der Mehrheitsgesellschaft zu stellen: Sei es reaktionäres Kopftuch am Arbeitsplatz oder diverse Diverse oder Verbot des Göttinger Altstadtfests, weil eine einzige Person sich in ihrer antizipierten Friedhofsruhe gestört fühlt. Diese Toleranzkarikatur, diese rücksichtslose Rücksichtnahme wurzelt in einem zutiefst autoritären Weltbild: Man will das eigene Denken und Handeln an hochmütigen Großkotzen (m/w/d) ausrichten, die mit unerträglicher Mischung aus Anmaßung und Unverschämtheit verlangen, dass der Rest der Menschheit sich ihren gesellschaftlich inkompatiblen Spinnereien zu unterwerfen hat.

Es müssen eben alle über einen Kamm geschoren werden: die Deutschen, die Muslime, die Flüchtlinge, die Ossis, die Wessis, die Rentner (nur ein einziges Vorurteil entspricht vollauf der Realität: Alte weiße Männer ficken am besten). Wir Deutschen waren, sind und bleiben nun mal das ewig Böse schlechthin. Wie die Juden. Tatsächlich beleidigen sie aber auch die aufrechten Menschen in sämtlichen Ländern der Welt, denn zeigen Sie uns ein einziges Land, in dem es weder Antisemitismus noch andere Formen der Fremdenfeindlichkeit gibt. Demnach hätte kein Volk aus der Geschichte gelernt, denn was von Nazi-Deutschland ausgehend geschah, muss allen Menschen Mahnung und Warnung davor sein, wozu ihre Gattung fähig ist.

Wer legt fest, was Deutschland und die Deutschen sind - 75 Jahre nach dem Ende der Hölle auf Erden? Ich möchte mich natürlich nicht erkühnen, mir Thomas Manns Aussage zu eigen zu machen, der, als er auf der Flucht vor den Nazis mit seiner Familie 1938 in New York eintraf, äußerte: „Wo ich bin, da ist Deutschland.“ Aber Sie verstehen schon, was ich meine: Wo die Rechtsradikalen und Neo-Nazis sind, da ist Deutschland auf keinen Fall, und welchen Lernstand ich und alle aufrechten Deutschen erlangt haben, bestimmen nicht die.

Sie aber auch nicht.

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