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2.4.2018

Deutscher Wortschwatz extended

„Youtube kucken is fiel schöna alzwie lehsn!“ Nun wissen wir endlich, weshalb die deutsche Jugend zum überwiegenden Teil aus smartphonesüchtigen Analphabeten besteht, unfähig, einen klaren Satz zu formulieren: Es gibt keine deutsche Sprache (jedenfalls nur äußerst bruchstückhaft). Dies wurde mir schlagartig klar, als ich vor Kurzem von den Anglizismen des Jahres 2017 erfuhr (vorher wusste nicht einmal, dass Deutschland überhaupt seit 2010 alljährlich den Super-Anglizismus sucht - ich bin nicht mehr auf zu Dattel). The winner is: „Influencer“. Keine Panik, hat nichts mit Grippe zu tun, sondern „das Wort Influencer bezeichnet (meist jüngere) Menschen, die allein durch ihre große Reichweite in den sozialen Medien in der Lage sind, die öffentliche Meinung mitzugestalten“, so die Begründung der Jury. Dieses Wort schließe eine lexikalische Lücke im Wortschatz und sei eine Bereicherung der deutschen Sprache - guckstdu! Auf dem zweiten Platz ist „Blockchain“ gelandet (never heard of, geht irgendwie um Falschgeld). Dritter Sieger ist „Nice“ geworden, wie nett, bedeutet aber nicht Nizza (das wäre, um Olaf Schubert zu zitieren, ein französischer Anglizismus).

Der durchschnittliche aktive Wortschatz umfasst 12000 bis 16000 Wörter. Wenn jedes Jahr nur 3 Anglizismen als Lückenbüßer gekürt werden, wird es also mindestens 4000 Jahre dauern, bis die deutsche Sprache endlich zu etwas taugt. Wir wollen diesem Unterfangen einen längeren Atem wünschen, als er Martin Schulz (gibt's den noch?) vergönnt war, der vor einem Jahr antrat, um sämtliche Gerechtigkeitslücken des Universums zu schließen.

Den Artikel auf deutschlandfunk.de zierte als abschreckendes Beispiel ein Foto der wohl einflussreichsten deutschen Influencerin: Youtuberin Bianca „Bibi“ Heinicke (von der ich bis dato natürlich noch niemals gehört hatte). Bibi ist der Idealtypus dessen, was sich der kleine Moritz unter einer hirnamputierten Dummtussi vorstellt. Das einzig Smarte an ihr ist ein Schlaufon, das sie vor ihr gesichtsloses Gesicht hält, um es sich self zu machen. Ich habe mir erspart, zu goggeln, welche Message Bibi verbreiten zu müssen meint - dem wäre ich sicherlich nicht gewachsen. Wahrscheinlich zeigt sie, wie ihresgleichen sich die Haare schön machen oder etwas ähnlich Epochales, um eine Lücke im immateriellen Kulturerbe der Menschheit zu schließen. Diese armselige Nullperson, die wo aussehen tut wie Donald Trump seine Enkelin der ihre beste Freundin, soll mich influencen? Bibi beeinflusst bestenfalls meine ohnehin nicht sonderlich hohe Meinung von der Gattung Mensch.

Zur Rechtfertigung ihrer Auswahl erläutern die Juroren und -innen, das Wort „Influencer“ gebe es im Englischen bereits seit dem 17. Jahrhundert. Trieben solche Geistestitanen und -innen wie Bibi also schon damals ihr Unwesen? Da verwundert es nicht, dass die englische Sprache grammatisch etwas schlicht ausgefallen ist (auf welcher Grundlage sie sich immerhin zur Lingua franca gemausert hat).

Nicht nur Fernsehen und Youtube leben von ständigen Wiederholungen, auch die Anglizismen des Jahres: 2013 stand das Wortanhängsel „-gate“ auf dem Siegertreppchen. Echt brandneu (formerly known as „brand-new“), ist erst seit 1972 in aller Munde. „Whistleblower“ war schon zwei Mal dabei, 2010 und 2013 drittplatziert. Was ist das eigentlich? Eine Frau, die beim Fellatio pfeift? Dieses anatomische Kabinettstück könnte Bibi doch mal auf Youtube vollführen. Aber wahrscheinlich hat sie sogar von Tuten und Blasen keine Ahnung.

Warum wurden Handy, Showmaster, Happy End, Bodybag, Oldtimer und Beamer noch niemals preisgekrönt? Der nie versiegende Bullshitstorm der „Influencer“-Viren, die seit Jahrzehnten pandemisch grassieren, verursacht mir Grippesymptome: Mich fröstelt, mir brummt der Schädel, ich muss mich übergeben. Dieses hohle, aufgeblasene, oberkühle, dummdeutsch-provinzielle Neuschwätz, diese Alternative für Deutsch geht mir tierisch auf den Keks (cakes), törnt mich total ab (to turn), und meine Aufnahmebereitschaft streikt (to strike). Forgate it, I whistle thereupon!

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