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12.5.2025

Urnen-Wahl

1Neuerlich bestätigt sich die alte Weisheit, dass selbst der Tod nicht umsonst ist ‑ nicht einmal nach 15 Jahren: Am 27.11.2023 würde nach 15 Jahren die Ruhezeit der Asche unserer Mutter und die von uns gebuchte Nutzungszeit der Urnenkammer auf dem Waldfriedhof in Hofheim am Taunus ablaufen. Nutzungsberechtigter (also Mieter) der Urnenkammer war mein Bruder Reinhard, der auch der Betreuer unserer Mutter in ihren letzten Lebensmonaten gewesen war. Am 3.9.2023 schrieben wir eine Email an die Friedhofsverwaltung und fragten, ob wir mit Blick auf den bevorstehenden Ablauf der Nutzungszeit etwas veranlassen müssen. Mit Schreiben vom 4.9.2023 antwortete die Friedhofsverwaltung; das Schreiben war gleichzeitig ein Formular, das Reinhard ausgefüllt und unterschrieben zurücksenden sollte. Darin wurden zwei Fragen gestellt, die jeweils mit ja oder nein zu beantworten waren:

1. Möchten Sie das Nutzungsrecht um 5 Jahre verlängern?
2. Wünschen Sie eine Abräumung der Urnenkammer?

Ersteres würde 690,00 € kosten; Letzteres „inklusive der Wiederbestattung der Urne“ 155,00 €. Wir wollten jedoch weder das Nutzungsrecht verlängern noch wünschten wir eine - zudem kostenpflichtige - Abräumung (was immer das sein mochte) der Urnenkammer. Vielmehr wollten wir die Angelegenheit einfach abschließen. Daher teilten wir der Friedhofsverwaltung mit Email vom 5.9.2023 mit, dass wir keine Verlängerung des Nutzungsrechts wünschten, und fragten: „Unklar ist uns Frage 2: Bitte teilen Sie uns mit, ob wir etwas tun müssen und/oder ob uns Kosten entstehen, wenn wir die Frage, ob wir eine Abräumung der Urnenkammer wünschen, mit „nein“ beantworten.“ Prompt kam am selben Tag die Antwort - mehr als verblüffend: „Wenn Sie das Nutzungsrecht für die Urnenkammer nicht verlängern möchten, dann müssen Sie zwangsläufig bei der Frage 2 ein JA ankreuzen. Es besteht dann keine andere Option.“ Die Friedhofsverwaltung hatte hiermit ganz unspektakulär eine umwälzende, epochale Innovation in die Welt gesetzt, welche einen rechtsstaatlichen Paradigmenwechsel bewirkt und das Verhältnis zwischen Behörden und Bürgern nachgerade revolutioniert: der Zwangswunsch. Die angebliche Zwangsläufigkeit, eine Frage, die man scheinbar nach eigenem Wunsch mit ja oder nein beantworten kann, faktisch unbedingt und ausschließlich mit ja beantworteten zu müssen, war - gelinde gesagt - nicht unoriginell. Dies war Auslöser dafür, dass wir Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Friedhofsverwaltung zu hegen begannen und uns eingehender mit der Materie befassten. Die Analyse der Ja-Zwangshandlung war der Beginn unseres ausführlichen Schreibens vom 29.9.2023 an die Friedhofsverwaltung (nicht beigefügt, da inhaltlich identisch mit dem später folgenden Widerspruchsschreiben vom 25.7.2024):

Sie teilen mit, wenn man das Nutzungsrecht für die Urnenkammer nicht verlängern möchte, müsse man „zwangsläufig“ Frage 2 mit Ja beantworten. Es ist widersinnig, jemanden zu zwingen, etwas zu wünschen. Wenn eine Maßnahme gesetzlich vorgeschrieben ist, ist es überflüssig und absurd, den Verpflichteten zu fragen, ob er diese Maßnahme wünscht. Sollte Ihr Formular tatsächlich so gemeint sein, wie Sie es darstellen, wäre dies so, als würde das Finanzamt ein Formular mit 2 Fragen herausgeben:

1. Hatten Sie im vergangenen Jahr Einkommen? ja/nein
2. Wünschen Sie, Einkommensteuer zu zahlen? ja/nein

Frage 2 ergibt hingegen ausschließlich dann einen Sinn, wenn es sich um eine Wahlleistung handelt, die man beliebig in Anspruch nehmen oder auf die man verzichten kann, z. B. im Krankenhaus: „Wünschen Sie Unterbringung im Einbettzimmer?“

2Sodann geschah nichts mehr, keine Antwort, keine Rechnung - super! Reinhard und ich klopften einander schon auf die Schulter in der Annahme, einen glorreichen Sieg errungen zu haben. Ja, denkste, man soll den September nicht vor dem Juli loben: Zehn Monate später, mit Datum 22.7.2024 kam der Gebührenbescheid. Auf unser Schreiben vom 29.9.2023 einzugehen hielt die Friedhofsverwaltung nicht für erforderlich. Mit Schreiben vom 25.7.2024 erhoben wir mit folgenden Argumenten Widerspruch, da die Hofheimer Friedhofssatzung keine Rechtsgrundlage für die Gebühr enthielt:

1Formular

Siehe oben. Zudem ist das Formular in sich unschlüssig: Sofern man keine Verlängerung der Nutzungszeit wünscht, ist Frage 2 überflüssig, denn die kostenpflichtige Abräumung und Wiederbestattung sei ja „zwangsläufig“. Sofern man eine Verlängerung der Nutzungszeit wünscht, ist Frage 2 ebenfalls überflüssig, denn in diesem Falle kommen Abräumung und Wiederbestattung von vornherein nicht infrage.

2Abräumung

Bei einer Urnenkammer gibt es nichts abzuräumen. Hinsichtlich Grabstätten für Erdbeisetzungen bedeutet Abräumung gemäß Friedhofssatzung: Entfernung von Grabsteinen, Holzkreuzen, Grabmalen, Denkmalen sowie sonstiger baulicher und gärtnerischer Anlagen. Solche Dinge gibt es an einer Urnenkammer naturgemäß jedoch nicht, weshalb die Friedhofssatzung plausiblerweise keine Definition der Abräumung einer Urnenkammer enthält. Abräumung bedeutet nicht Öffnen der Urnenkammer und Herausnahme der Urne, sondern ausschließlich Entfernen etwaigen Grabschmucks, der an einer Urnenkammer aber nicht vorhanden ist.

3Wiederbestattung

Nach Herausnahme der Urne aus der Urnenkammer wird gemäß Friedhofssatzung die Asche „der Erde übergeben“; die Asche wird also nach Ablauf der Nutzungs- und der Ruhezeit ordnungsgemäß entsorgt. Dies aber ist keine Wiederbestattung. Eine solche gibt es gemäß Friedhofssatzung ausschließlich infolge der „Ausgrabung“ einer Urne aus der Urnenkammer vor Ablauf der Ruhezeit entweder zum Zwecke der Umbettung „nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes“ oder zu anderen Zwecken aufgrund „einer behördlichen oder einer richterlichen Anordnung“.

3Mit Schreiben vom 5.8.2024 bestätigte die Rechtsabteilung der Hofheimer Stadtverwaltung den Eingang unseres Widerspruchs und führte aus: „Über diesen Widerspruch entscheidet der Magistrat der Stadt Hofheim am Taunus durch Erlass eines kostenpflichtigen Widerspruchsbescheides.“ Klingt zutreffend? Ist es aber nicht: Ein kostenpflichtiger Widerspruchsbescheid würde ausschließlich dann erlassen, wenn unser Widerspruch zurückgewiesen würde. Wenn hingegen unserem Widerspruch stattgeben wird, wird ein Abhilfebescheid erlassen, der selbstverständlich kostenlos ist. Beruhte die Behauptung der Rechtsabteilung auf Unkenntnis oder Nachlässigkeit? Oder war sie der bewusste Versuch, uns für dumm zu verkaufen und einzuschüchtern?

Des Weiteren teilte die Rechtsabteilung mit: „Ob von einer Anhörung vor dem Widerspruchsausschuss [...] abgesehen wird, teilen wir Ihnen nach eingehender Prüfung aller relevanten Aspekte gerne mit.“ Mit anderen Worten: Die Rechtsabteilung könne eigenmächtig darüber entscheiden, ob sie Reinhard nach Hofheim zitiert, auf dass er dem Widerspruchsausschusse Rede und Antwort stehe. Ist natürlich unzutreffend, sondern Reinhard verzichtete einfach auf eine Anhörung.

Beides teilten wir der Rechtsabteilung mit Schreiben vom 8.8.2024 mit.

4Mit Schreiben vom 17.9.2024 machte die Rechtsabteilung neuerlich Ausführungen:

Im ersten Absatz korrigierte sie ihre im Schreiben vom 5.8.2024 enthaltene Aussage zum kostenpflichtigen Widerspruchsbescheid, indem sie die Wörter „bei Erfolglosigkeit“ einflocht.

Gemäß Hessischem Friedhofs- und Bestattungsgesetz (FBG) seien nach Ablauf der Ruhefrist Urnen innerhalb des Friedhofs zu bestatten, womit die Rechtsabteilung behaupten wollte, hiermit sei die angebliche Wiederbestattung gemeint. Dies ist natürlich unzutreffend. Bereits im Widerspruchsschreiben vom 25.7.2024 hatten wir diese absehbare Behauptung höchst vorsorglich widerlegt: Unbeschadet der im FBG verwendeten pietätvollen Wortwahl „bestatten“ handelt es sich faktisch um die ordnungsgemäße Entsorgung der Asche nach Ablauf der Nutzungs- und der Ruhezeit. Die Hofheimer Friedhofssatzung löst dieses semantisch-stilistische Problem sehr geschickt und gleichzeitig pietätvoll, indem die Formulierung „der Erde übergeben“ verwendet wird. Von Wiederbestattung ist hingegen schlüssigerweise nicht die Rede.

Urnen in Urnenkammern befänden sich nach Ablauf der Ruhezeit in nahezu unversehrtem Zustand. Mithin müssten sie aus der Kammer entfernt werden. Was sollte diese Angabe besagen: dass die Urne stattdessen auf ewige Zeit in der Urnenkammer verbleiben würde, falls sie beschädigt ist? Jedenfalls ist diese Angabe kein Beweis dafür, dass die Entnahme der Urne eine Abräumung gemäß der Definition der Friedhofssatzung sei.

Abschließend bat die Rechtsabteilung um Mitteilung bis 4.10.2024, ob wir den Widerspruch aufrechterhalten oder ihn zurücknehmen möchten. Beruhte diese Bitte auf Inkompetenz oder auf Unverschämtheit? Man braucht selbstverständlich nicht mitzuteilen, ob man einen Widerspruch aufrechterhält.

Im Verlauf des Schreibens bezeichnete die Rechtsabteilung die Hofheimer Friedhofssatzung als Hessische Friedhofssatzung, und als Abkürzung des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes verwendete sie die Buchstaben „HFG“, was inkorrekt ist.

Das Schreiben der Rechtsabteilung beantworteten wir mit Schreiben vom 23.9.2024. Wir sahen natürlich davon ab, Punkte, die bereits im Widerspruchsschreiben enthalten waren, zu wiederholen und mitzuteilen, ob wir den Widerspruch aufrechterhalten.

5Der Widerspruchsbescheid kam sodann mit Schreiben der Rechtsabteilung vom 27.9.2024. Darin sind ausschließlich abstrakte Ausführungen bis hin zu Art. 1 Abs. 1 GG enthalten. Unsere Einwände im Widerspruchsschreiben vom 25.7.2024 erwähnt die Rechtsabteilung hingegen nur am Rande und oberflächlich, ohne sich vertieft damit zu befassen. Unsere stichhaltigen Begründungen nennt sie überhaupt nicht. Dies ist aus ihrer Sicht verständlich, denn anderenfalls hätte sie unsere Begründungen widerlegen müssen, was ihr nicht gelungen wäre. Stattdessen ergeht sie sich in rührenden handwerklichen Erläuterungen - aufgemerkt nun also: Mit geeignetem Gerät muss die mit Zementplatten (ich habe lediglich eine einzige vor Augen) verschlossene Urnenkammer aufgestemmt werden. Sodann wird ein Rasenstück ca. 80 cm tief aufgegraben, die Urne eingesetzt und mit der zuvor entnommenen Grasnarbe abgedeckt. Von einer „eingehenden Prüfung aller relevanten Aspekte“, wie im Schreiben der Rechtsabteilung vom 5.8.2024 vollmundig angekündigt, kann nicht im Mindesten die Rede sein. Stattdessen vermittelt der Widerspruchsbescheid den Eindruck, wir wären ordinäre Zechpreller, die mit an den Haaren herbeigezogenen Behauptungen sich völlig grundlos um die Zahlung drücken wollen. Immerhin hat der Widerspruchsbescheid ein bisschen Unterhaltungswert, indem neuerlich die Hofheimer Friedhofssatzung als Hessische Friedhofssatzung bezeichnet wird.

Neben dem unredlichen und zum Teil schlichtweg inkompetenten Vorgehen der Rechtsabteilung ist ein weiterer Punkt von Interesse: Über den Widerspruch entschied angeblich ein Widerspruchsausschuss. Gab kein einziges Mitglied zu bedenken, ob unsere Argumente zutreffen könnten? Welches Verständnis haben die Mitglieder des Widerspruchsausschusses von ihrer Funktion? Schlucken sie lediglich alles brav, was die Rechtsabteilung ihnen vorgekaut auftischt?

Nach dem Widerspruchsbescheid wollte Reinhard die Angelegenheit erledigt sein lassen und sah deshalb davon ab, Klage beim Verwaltungsgericht zu erheben.

So hat die Rechtsabteilung der Stadtverwaltung Hofheim am Taunus in aller Stille die Rechtsstaatlichkeit zu Grabe getragen: Ruhe sanft!

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Hofheimer Friedhofssatzung

Hessisches Friedhofs- und Bestattungsgesetz (FBG)

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)

Hessisches Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (HessAGVwGO)

Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG)

Grundgesetz (GG)

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