1.9.2019
Unrechthaberei
Rede des PDS-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch vor dem PDS-Parteivorstand
Allerwerteste Genossen*innen und Genossen*innen,
in Bayern gehen die Uhren anders. Die CSU hat gut reden, die sitzt fest im Sattel und hat ihre Bajuwaren straff im Griff, und das wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben. Dies berechtigt sie aber nicht, die Opfer von einst zu verhöhnen und zu entwürdigen: Aufgrund meiner Äußerungen im ARD-Sommerinterview wirft Markus Blume, Generalsekretär der CSU, mir und uns allen einen unangemessenen Umgang mit dem DDR-Unrecht vor. Diese Unterstellung ist an Zynismus nicht zu überbieten. Als wenn wir es nötig hätten, uns was vom DDR-Unrecht erzählen zu lassen. Wir wissen schließlich am Besten, was damals geschah: Wem wurde denn dieses unsägliche Unrecht zugefügt, wer musste es erleiden? Wir - die SED. Und wer waren die Täter? Das verfluchte Volk, das vor 30 Jahren völlig grundlos aus heiterem Himmel aufrührerisch wurde und das SED-System zum Einsturz brachte. Allein, wie viele Parteigenossen (m/w/s/e/d) in die Arbeits-, gar Obdachlosigkeit getrieben wurden. Eine humanitäre Katastrophe grauenhaften Ausmaßes, die nun als belangloser Vogelschiss vom Tisch gewischt werden soll. Doch wir dürfen nicht zulassen, dass die Biografien und Lebensleistung der SED-Funktionäre, MfS-Bediensteten, IMs, Vopos und Grenzsoldaten verächtlich gemacht und in den Dreck gezogen werden. Es war nicht alles schlecht in der DDR. Ganz im Gegenteil: 44 Jahre lang hatten Diktatur, Volks-Gefängnis und Misswirtschaft perfekt und störungsfrei funktioniert. Die jetzigen perfiden Versuche reaktionärer, revanchistischer Kreise, das dann über uns hereingebrochene DDR-Unrecht zu relativieren - so schlimm war es doch gar nicht, nach 30 Jahren ist es ohnehin verjährt -, laufen ins Leere, alles nur Augenwischerei!
Ich wiederhole meine Aussage im Sommerinterview: „Wir schreiben das Jahr 2019, und die totale Deinstrumentalisierung, dass das Volk sozusagen nicht die Zuständigen sind für alle Verfehlungen seit dem Bauernkrieg, die allerdings will ich nicht akzeptieren.“ Welches Standes waren denn die Bauern, etwa unseresgleichen? Nein, das war die Hefe des Volkes, dieser ewig stinkende, faulige Morast, aus dem immer nur Aufruhr und Widerstand gegen die Obrigkeit erwuchsen. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Was im Bauernkrieg begann, setzte sich nahtlos 1989 fort: Bereits das Bauernpack hatte gefordert, die Leibeigenschaft aufzuheben. Ja, Pustekuchen! Das war doch das Fundament der DDR: Volkseigentum. Will sagen: Das Volk war unser Eigentum. Rein rechtlich gesehen - der Genosse Notar wird mir zustimmen -, war das Volk vor 30 Jahren also gar nicht befugt, eigenmächtig ohne unser Einverständnis gegen uns vorzugehen, denn es hatte keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern es war bloß eine Sache, ein Ding.
Wie hätte das DDR-Unrecht verhindert werden können? Ich sage nur: 1525 - draufhalten und weg damit! Schon Friedrich Engels („Der deutsche Bauernkrieg“) und Karl Marx („Wider die mörderischen und räuberischen Marotten der Bauern“) hatten den Bauernkrieg als leuchtendes Vorbild erkannt - dafür, wie mit umstürzlerischem Untertanengesindel zu verfahren ist. „... und es fiel kein einziger Schuß“ titelte der Spiegel zum 5. Jahrestag der - ich kotze gleich„- Deutschen Einheit. Genau das war der Fehler. Wer gab die Anweisung, dass nicht „von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden muß“? Wenn Einzelne Republikflucht begingen, dann wurde nach Herzenslust rumgeballert, als stünde die Zukunft des Universums auf dem Spiel, aber im Angesicht der massenhaften Bedrohung des SED-Systems, die für uns Sein oder Nichtsein bedeutete: Totenstille. Das war der Scheißbefehl!
Besteht die realistische Aussicht, im Wege einer glorreichen Revolution, eines bewaffneten Aufstandes die Alleinherrschaft an uns zu reißen? Das ist leider heute so ausgeschlossen wie 1945. Stattdessen müssen wir uns - ich kotze gleich - an Wahlen beteiligen, deren Ergebnis ausschließlich das Volk bestimmt. Ja, früher war eben alles besser, in der guten alten Zeit brauchten wir keinen Revolutionsstress: Da hatte es glücklicherweise zuvor Hitler, Tyrannei, Vernichtungskrieg und Völkermord gegeben. Und einen mächtigen ausländischen Steigbügelhalter. Ideale Voraussetzungen für eine relaxte Machtergreifung frei Haus auf dem Silbertablett - Lieferando-Kommunismus. Wer aber sollte uns heutzutage inthronisieren, etwa die KP Russlands?
Allen gegenteiligen Verleumdungen zum Trotz sind wir selbstverständlich seit 30 Jahren intensivstens mit der Aufarbeitung des DDR-Unrechts befasst, insbesondere hinsichtlich der Frage: Wer verschuldete es? Die Antwort liegt auf der Hand: Erich Honecker, Erich Mielke, Egon Krenz, Willy ... pardon: Willi Stoph, Hans Modrow, Heinz Keßler, Klaus-Dieter Baumgarten und Konsorten - diese realitätsfernen Weicheier haben das alles auf dem Gewissen. Die vergeigten es sehenden Auges, als das verfluchte Volk sich auf offener Straße zusammenrottete, Picknicke zum Rübermachen missbrauchte, sich in Botschaften verschanzte und schließlich den antifaschistischen Schutzwall stürmte. Die ließen sich vom Volk ins Bockshorn jagen und mir nichts, dir nichts buchstäblich über Nacht entmachten. Und zu schlechter Letzt: Günter Schabowski, dieser inkompetente Dummschwätzer! Der erscheint mir noch heute in den schlimmsten Albträumen. Zuweilen höre ich ihn sogar am helllichten Tag - es ist zum Verrücktwerden.
Doch wir dürfen nicht in Selbstmitleid versinken und mit dem Schicksal hadern. Es gibt noch viel zu tun: Unser Ziel ist nicht nur immer wieder Aufarbeitung, sondern vor allem Wiederaufarbeitung - des SED-Regimes. Diese kostbaren Ressourcen und wertvollen Rohstoffe dürfen nicht endgültig auf der Müllhalde der Geschichte verrotten. Da steckt Potenzial drin, da geht noch was. Recycling ist doch echt voll ökobio: ob Altpapier, Altglas, Altmetall, alte Autoreifen, alte Diktaturen - aus allem lässt sich noch was machen. Andererseits: Das Einzige, was wir in diesen 30 Jahren erreicht haben, ist ein als Ministerpräsident verkleideter westdeutscher Gewerkschafts-Fuzzi, der mal Sozialismus spielen will, und das auch nur mithilfe der - ich kotze gleich - SPD und Grünen. Na ja, wenn 's Spaß macht - einer*in von uns hätte sich dafür nicht hergegeben.
Wir heutigen PDS-Funktionäre geloben feierlich: Wir werden es besser machen als die 89er. Doch wie lange müssen wir noch warten, bis wir eine „andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“, in unserem Parteiprogramm unmissverständlich angekündigt, also Planwirtschaft und Diktatur, errichten können? Infolge der unumstößlichen Gesetzmäßigkeit des Historischen Materialismus wird es natürlich todsicher darauf hinauslaufen. Aber wann?
„Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort ... unverzüglich.“ Schnauze!!!
Siehe auch:
Die K-Antwort
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