10.5.2020
Einer geht noch
Shut down? Ganz und gar nicht! Die Wüste lebt - und die Verlautbarungsmaschinerie läuft wie eh und je auf Hochtouren: Dr. Alexander Gauland hat wieder was rausgehauen, und Dr. Josef Schuster ist wieder entrüstet. Was diesmal? Der 8. Mai als Feiertag. Ob ein AfD-Funktionär (namentlich Alexander Gauland) sich dazu äußert oder ein PDS-Funktionär (namentlich Bodo Ramelow) zu Schießbefehl und Unrechtsstaat - das Ergebnis ist immer das Gleiche: dummes, widerwärtiges Zeug. Wer hat das Ganze losgetreten? Die PDS im Bundestag. Die will den 8. Mai als Tag der Freimachung begehen - der Tag, der ihren Vorvätern*innen 1945 den Weg zur SED-Diktatur frei machte. Gleichzeitig soll es ein Tag der Arbeitsbefreiung sein für die geknechteten werktätigen Massen. Allein deshalb muss die AfD diesen Feiertag ablehnen, denn nach Ansicht ihrer Vorväter*innen war es ja gerade die Arbeit, die frei macht.
Feiertage sind ein Schlachtfeld für Eitelkeiten und ideologische Machtspielchen aller Couleur: angefangen bei dem grundsätzlich achtenswerten 3. Oktober, über die mumifizierten, alljährlich notdürftig geschminkt ins Fenster gesetzten Kadaver der religiösen Feiertage (z. B. Happy Dead Body, wie wir in meiner Jugend so nett zu sagen pflegten), bis hin zu den Lachpillen Reformationstag und Frauentag. Gleichzeitig geht es aber auch bloß um schnödes Freizeitinteresse, was die Sache zusätzlich verlogen und obszön sein lässt: Schreibtischtäter D. Martinus Luther, Frauenbewegung, Ende der NS-Hölle - egal, Hauptsache blaumachen. Was geschieht an Fronleichnam? Die Nord-Hessen fallen über Göttingen her und kaufen es leer. Was geschieht am Reformationstag? Die Süd-Niedersachsen fallen über Kassel her und kaufen es leer. Was würde am 8. Mai geschehen? Die Deutschen in den Grenzregionen fallen über Dänemark, Polen, Tschechien, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande her.
Die religiösen Feiertage, die lediglich als letzte bröckelnde Bastion der Kirchen dienen, haben den diskreten Charme einer Mischung aus Rosamunde Pilcher und Saudi-Arabien. 95 % der deutschen Menschheit interessiert es nicht die Bohne, was Heilige Drei Könige, Karfreitag, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen, Buß- und Bettag für eine Bedeutung haben, und mit diesen einzeln hingesprenkelten freien Tagen kann niemand etwas Sinnvolles anfangen. Wir könnten diesen Feiertags-Unfug natürlich kurzerhand beenden: Übrig bleiben lediglich zum Ausschlafen ein Weihnachtstag und Neujahr, neu dazu Heiligabend und Silvester, damit die Kollegen ... pardon: Kollegisierenden im Einzelhandel nicht mehr solchen Stress haben. Der ganze Rest wird abgeschafft, und stattdessen gibt es 10 Tage mehr Urlaub und Ferien.
Von Woody Allen stammt das tröstliche Wort: „Ich glaube nicht, dass mein Tod völlig sinnlos sein wird „irgendjemand bekommt dann ja meine Wohnung.“ Dies würde nun auch für die zahllosen Opfer von Tyrannei, Krieg und Völkermord gelten: Nach 75 Jahren würde ihrem Leiden und Sterben doch noch ein Sinn beigemessen, indem sie den mit der Gnade der späten Geburt Gesegneten einen arbeits- und schulfreien Tag zuteilwerden lassen. Die Feiertags-Diskussion macht mich fassungslos, wie man mit der NS-Zeit so trivial umgehen kann, als stünde zur Debatte, ob beim Sommerfest des Gänseblümchenzüchtervereins Kartoffelsalat oder Pommes gereicht werden soll. Des 8. Mai wird seit 74 Jahren jedes Jahr gedacht: Diejenigen, die sich der Verantwortung bewusst sind, tun es; diejenigen, die meinen, es nicht nötig zu haben, oder von vornherein kenntnislos sind, tun es nicht. Glauben die Feiertagsverfechter denn im Ernst, dass auch nur ein einziger Mensch mehr des 8. Mai 1945 (und vor allem der 12 Jahre zuvor) gedenkt, wenn arbeits- und schulfrei ist? Was haben Gedenken einerseits und Freizeit andererseits überhaupt miteinander zu tun? Beschäftigt sich denn nur ein einziger Mensch mehr mit der elenden Reformation, weil in den Nordländern neuerdings der 31. Oktober Feiertag ist? Ich für mein Teil kann es mir jedenfalls mühelos verkneifen.
Wäre durchaus ein reizvoller Mix: 1. Mai: arbeitsloser Tag der Arbeit, 4. Mai: Krieg-der-Sterne-Tag, 8. Mai: Weltkriegsendetag. Liebe Politiker ... pardon: Politisierende und Interessenvertretende, ich kann den 8.-Mai-Feiertags-Tinnef nicht mehr hören: Shut up!
Siehe auch:
Hare Ramadan
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