Wer hat Phobie vorm schwulen Mann?
01.06.2014
Christian Ströbele forderte sicherlich schon vor Jahren, daraus einen gesetzlichen Feiertag zu machen, ich selbst (in meiner profunden Weltferne) habe erst jetzt davon erfahren: Der 17. Mai ist „Internationaler Tag gegen Homophobie“. Mit derlei habe ich eigentlich kein Problem, da mich (in meiner profunden Weltferne) anderer Leute Polung nicht sonderlich interessiert (meine eigene reicht mir schon). Ungleich mehr interessiert mich Sprache, und deshalb habe ich ein Problem mit dem Wort Homophobie:
„Homo“ soll für Homosexualität stehen, tut es aber nicht, denn es bedeutet lediglich „gleich, gleichartig“. Es ist semantischer Unsinn, ein für sich genommen aussageloses Wortteil als ein bestimmtes ganzes Wort zu verwenden. Ein „Homo“ steckt nämlich in vielem, und zwar immer vorn. Demnach könnte homophob sich z. B. auch auf Homogenität oder Homoskedastizität beziehen. Woher wissen wir, dass stattdessen Homosexualität gemeint ist? Weil wir gehorsam und gedankenlos alles glauben und nachplappern, was autoritäre Haupt- und Selbstdarsteller uns vorplappern. Sprache ist hier nicht Bedeutungsträgerin, mittels derer gleichberechtigte, einander achtende Subjekte sich auf sinnvolle Weise miteinander verständigen, sondern sie dient allein dem Transport von Befehlen gegenüber der Masse der bloßen Objekte, die nur zu kuschen haben. So dressiert man Tiere: Man kann einem Hund beibringen, sich zu setzen, wenn man „flieg“ oder „tralala“ sagt. Der Hund weiß nicht, dass dies Unsinn ist und es eigentlich „sitz“ heißen muss.
Phobie heißt Angst. Phobien sind eine psychische Krankheit, eine „exzessive, inadäquate Angstreaktion, die durch bestimmte Gegenstände und Situationen ausgelöst wird und meist mit Einsicht in die Unbegründetheit verbunden ist, z. B. bei neurotischer Persönlichkeitsentwicklung (Zwangsneurose), Depression oder Erschöpfung, mit Symptomen wie Zittern, Schwitzen, Übelkeit, Palpitation. Als Folge einer Phobie können u. a. Vermeidungsverhalten, zunehmende Einengung des Handlungsspielraums, u. U. Suizidalität auftreten“ (Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch 2012). Häufige Varianten sind Klaustrophobie: Angst vor engen Räumen (das ist nicht Platzangst). Agoraphobie: Angst vor großen Plätzen (Platzangst). Arachnophobie: Angst vor Spinnen (igittigitt!). Erythrophobie: Das ist nicht Angst vor roten Blutkörperchen, sondern davor, rot zu werden. Damit ist jedoch nicht die Angst der Westdeutschen vor der PDS und ihren Steigbügelhaltern von SPD und Grünen gemeint, sondern davor, bei unpassender Gelegenheit zu erröten (was meist dazu führt, dass man bei unpassender Gelegenheit errötet). Und die tragischste Form, die soziale Phobie: Angst vor Menschen. Ist Homophobie demnach ebenfalls eine psychische Krankheit - Angst vor Gleichartigem? Treibt die Homophobie-Gegner die Sorge um die globale Volksgesundheit um, und wollen sie durch Aktionstage, Medienrummel und Demonstrationen die Menschheit von Panikattacken kurieren und davor bewahren, sich zu entleiben? Das wäre ein völlig neuer Behandlungsansatz. Die Schulmedizin ist da anscheinend von gestern, denn bislang werden Phobien mittels „Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie u. a., evtl. kurzzeitig Psychopharmaka“ behandelt (Pschyrembel).
Mitnichten hat der Tag gegen Homophobie die Behebung seelischer Störungen zum Ziel, sondern er wendet sich gegen Diskriminierung, gar Drangsalierung und Verfolgung weiblicher, männlicher und sonstiger Homosexueller. Das ist überaus löblich, aber keine Rechtfertigung für öffentliche Sprachverhunzung: Das Wort Homophobie sagt nicht im Mindesten das aus, was behauptet wird. Stattdessen müsste „phobie“ durch „anti“ oder „mis“ ersetzt werden, wie z. B. in Antisemitismus, Antiziganismus, Antifaschismus, Antikommunismus, Misanthropie, Misogamie, und das nichtssagende Wortteil „homo“ müsste vervollständigt werden. Das gesamte Wort müsste also in etwa Antihomosexualität oder Misohomosexualie lauten (ich gebe zu, hier sind eher die Altphilologen¹ gefragt). Das kommt natürlich nicht so obercool und schnittig rüber wie „Homophobie“.
Ich will jedoch nicht als beratungsresistent erscheinen. Sofern aller Etymologie zum Trotz Homophobie tatsächlich Abneigung, gar Feindseligkeit gegen Homosexualität bedeutet (immerhin steht das auch so im Duden), bliebe nur die Frage, wie schlüssigerweise die Bezeichnung des Gegenteils lautet, dessen wir uns stets befleißigen sollten: Homophilie.
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1) „Non vitae, sed scholae discimus.“ (Nicht für die Lesben, sondern für die Schwulen lernen wir.)
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Siehe auch:
Zu andern Ufern lockt ein neuer Day
Putin homini lupus
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(12.07.2014)
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