18.11.2018
Russisches Fußball-Roulett
Das war wieder eine klare Ansage. Katrin Göring-Eckardt, Volkskommissarin für Moral, Sitte und Anstand, gab die Marschrichtung vor - die Quadratur des Kreises: „Es sollte keine Show für Putin geben, deswegen nicht auf den roten Teppich mit Herrn Putin gemeinsam.“ Die Lage schien schier aussichtslos, denn selbstredend würden unsere Jungs wieder Weltmeister werden, und dann gäbe es bei der Siegerehrung unvermeidlich direkte Feindberührung mit Wladimir Putin. Panik machte sich breit in der Nationalmannschaft: „Wie kommen wir heil wieder raus aus dieser Nummer?“ Wenn sie an Putin vorüberdefilieren müssten, brauchten sie sich in der Heimat gar nicht mehr blicken zu lassen. Dann würden ihre Karrieren nicht in die Verlängerung gehen, sondern sie würden alle Mann ausgewechselt und mit einem Strafstoß ins gesellschaftliche Abseits gekickt - wie die ungarische Mannschaft 1954, nachdem sie das Endspiel vergeigt hatte. Und Jogi wäre die längste Zeit Bundestrainer gewesen. Um dem drohenden Abstieg zuvorzukommen, entwickelte er eine brillante, unschlagbare Spielstrategie: Vorrunde und tschüss - Selbstverstümmelung und Rückzug auf der ganzen Linie!
Da wurde unseren Brüdern Leichtfuß echtes Vabanque abverlangt, ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden: Schon der kleinste Fehltritt könnte rettungslos zum Absturz in den Weltmeistertitel führen. Das zweite Vorrundenspiel gegen Schweden mussten sie notgedrungen nolens volens gewinnen, damit ihre Absicht nicht gar so überdeutlich ins Auge sprang. Dieser Sieg, den sie höchst widerwillig bis in die 95. Minute hinauszögerten, würde das Ausscheiden aber nicht gefährden; der Punkteverlust des ersten und dritten Spiels war ein sattes Polster. In diesen legendären Begegnungen gaben sie dann alles und liefen zur Bestform auf. Leicht war es nicht, gegen die haushoch unterlegenen Mexikaner und Südkoreaner zu verlieren, aber unsere Jungs meisterten auch diese Herausforderung mit Bravour: Beseelt von dem unbedingten Willen zur Niederlage und der Verheißung einer Privataudienz bei Gottes Stellvertreterin auf Erden (Katrin Göring-Eckardt) fiel das Löw-Rudel erbarmungslos über seine verdatterten Gegner her, die ein Fiasko gewärtigt hatten und nun gar nicht wussten, wie ihnen geschah, und trieb sie in den sicheren Sieg. Die Ärmsten waren den Deutschen hilflos ausgeliefert, sie hatten nicht die geringste Chance, ihr Schicksal war besiegelt - sie konnten ihrem Erfolg nicht entrinnen.
Das dritte Spiel war das schwerste und hätte beinahe in einem Desaster geendet: Die Südkoreaner rafften es einfach nicht. Insbesondere Manuel Neuer zündete ein wahres Feuerwerk der Kreativität und Virtuosität, um ihnen den Sieg auf dem Silbertablett anzudienen: Schlichtweg begnadet, wie ihm rein zufällig versehentlich der Ball aus den Händen flutschte, um den Gegnern eine Torchance zu gewähren - die sie natürlich verpatzten. Welch Demütigung für eine Weltklassemannschaft wie die deutsche, sich überhaupt mit solchen Stümpern abgegeben zu müssen. Doch Neuer ließ nicht locker und zog alle Register. Zum Schluss musste er aufs Ganze gehen, auch wenn es ein bisschen dick aufgetragen wirken mochte, aber auf einen groben Klotz gehört nun mal ein grober Keil: Er verließ ostentativ den Kasten, um sich irgendwo weit weg die Beine zu vertreten, und dann endlich kamen die südkoreanischen Schnellmerker auf den Trichter, dass sie in das gänzlich verwaiste Tor vielleicht möglicherweise unter Umständen mal ein bisschen den Ball hineinkullern könnten. Wie beschämend und blamabel - für Südkorea.
Die deutsche Elf hingegen hatte eine heroische Großtat vollbracht, ein glorreiches Finale, stolz und erhobenen Hauptes konnte sie das Stadion verlassen: Sie war über sich selbst hinausgewachsen, hatte ihr Ziel souverän erreicht und in vorbildlicher Weise Deutschlands Würde verteidigt, indem sie ein unübersehbares Zeichen setzte, ein Fanal für Demokratie, Frieden und Freiheit. Putin war der Gelackmeierte: Das hätte ihm so gepasst, sich vor den Augen der Welt im Glanz und Ruhm unserer Jungs zu sonnen.
Dass es zum Schluss die französische Mannschaft erwischte, war halt Pech - irgendeine musste ersatzweise dran glauben. Manche engstirnigen Puristen bemäkeln, es sei alles andere als Fairplay, wie ein Mitglied des europäischen Kernteams ausgerechnet dem anderen Mitglied übel mitspielte: Die deutschen Fußballer hätten ihre französischen Kollegen kaltlächelnd ins Messer laufen und wie begossene Pudel im Regen stehen lassen, indem sie ihnen den Weltmeistertitel aufhalsten, während sie selbst ihr Schäfchen ins Trockene brachten. Kann man so oder so sehen, doch Staatsräson war das Gebot der Stunde - alternativlos. Auch die daraus resultierende erhebliche diplomatische Verstimmung zwischen Frankreich und Deutschland war kein zu hoher Preis. Der deutsche Botschafter in Paris wurde ins Außenministerium zitiert, wo man ihm durch eine ungewöhnlich scharf formulierte Note eröffnete, dass Frankreich in Erwägung ziehe, Deutschland vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen: wegen betrügerischen Bankrotts. Die Bundesrepublik könne sich diesem hochnotpeinlichen Verfahren nur dadurch entziehen, dass Jogi Löw in Sack und Asche auf den Knien rutschend nach Moskau pilgert und dort nachträglich den Weltmeisterpokal in Empfang nimmt - aus den Händen der beiden Vorsitzenden des DWPFC (Deutscher Wladimir-Putin-Fanclub): Sahra Wagenknecht und Alice Weidel. Dass unser Botschafter die Franzosen ob dieses Ansinnens als „ballaballa“ bezeichnete, mag menschlich verständlich sein, verschärfte die Lage aber zusätzlich.
Was wird aus dem verhinderten Welt-Meister? Platzverweis und lebenslange Sperre. Für Wladimir Putin.
Siehe auch:
Ein Ball für Zweiundzwanzig
Nachspiel oder: Am Golde hängt, zum Golde drängt ...
Es liegt was in der Luft
Der Ball ist googlerund!
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