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15.1.2018

Tempus fugit

Wie peinlich, wie blamabel und beschämend! All das macht mich völlig fertig. Die folgenden Vorkommnisse begannen ganz harmlos und -onisch: Es ward Weihnachten. Am 26. Dezember 2016 fand ich mal wieder die Muße, die Einträge meiner Facebook-Seite auf den neuesten Stand zu bringen. Von Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen war der Anblick, der sich mir bot, jedoch nicht geprägt: Auf der Startseite prangte eine Reklame für irgendein militaristisches Ballerspiel - garniert mit einem Hakenkreuz:

Als braver Bürger schrieb ich stehenden Fußes eine Email an die Staatsanwaltschaft Göttingen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute am Mo., 26.12.2016, ca. 12.00 Uhr befand sich auf www.facebook.com eine Annonce für ein Online-„Spiel“. In dieser Annonce wird das Hakenkreuz verwendet. Bitte prüfen Sie, ob hierdurch ein Straftatbestand erfüllt ist. Ein Bildschirmfoto ist als Anhang beigefügt.

Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Klabunde

Offensichtlich handelte es sich um eine harte kriminalistische Nuss - erst am 21.4.2017 erhielt ich von der Staatsanwaltschaft folgendes Schreiben:

10.04.2017

Geschäftsnummer NZS 32 UJs 6209/17

Ermittlungsverfahren gegen unbekannt

Tatvorwurf: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Tatzeit: 26.12.2016

Sehr geehrter Herr Klabunde,

bei dem abgebildeten Online-Spiel handelt es sich nach Auskunft der regionalen Datenverarbeitungsgruppe der Polizeiinspektion Göttingen um eine temporär lediglich kurzfristig eingestellte Werbeeinstellung, die nicht mehr vorhanden und auch nicht mehr recherchierbar ist. Bei dieser Sachlage sind Ermittlungsansätze, die zur Überführung eines Täters führen könnten, nicht vorhanden. Ich habe das Ermittlungsverfahren daher gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Hochachtungsvoll

Oberstaatsanwalt

Schonungslos wurde mir vor Augen geführt, dass nichts im Leben Bestand hat, sondern alles irgendwie nur so labberig dahinfließt. Diese abgeklärt philosophische Einstellung der Staatsanwaltschaft zur eingestellten Werbeeinstellung sollte für die Einstellung der Ermittlungen jeglicher Delikte Anwendung finden, z. B.: „Bei dem Bankraub und der Erschießung mehrerer Geiseln handelt es sich nach Auskunft der Polizeiinspektion um eine temporär lediglich kurzfristig erfolgte Handlung, deren Täter nicht mehr anwesend und auch nicht mehr recherchierbar ist. Bei dieser Sachlage sind Ermittlungsansätze ...“

Die Sache begann, mir Spaß zu machen. Am 23.4.2017 richtete ich ein papiernes Schreiben an die Staatsanwaltschaft:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 10.4.2017. Es enthält keine Rechtsmittelbelehrung, weil Sie wohl der Ansicht sind, ich sei nicht Verletzter i. S. v. § 172 Abs. 1 S. 1 StPO. Ich meine aber sehr wohl, dass jeder Mensch, der mit einem Hakenkreuz konfrontiert wird, dadurch verletzt wird. Wer wäre aus Ihrer Sicht stattdessen Verletzter? Dies braucht aber nicht weiter erörtert zu werden, sondern ich schreibe Ihnen einfach als Bürger:

Die meisten Straftaten sind „temporär lediglich kurzfristig“, und nur die wenigsten Straftäter hinterlassen am Tatort ordnungsgemäß ihre Kontaktdaten, auf dass Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zügig, stressfrei und erfolgreich durchführen können. Der Urheber der „eingestellten Werbeeinstellung“ ist ohne Weiteres recherchierbar: Sie brauchen lediglich die Facebook Germany GmbH, Caffamacherreihe 7, 20355 Hamburg, zu befragen, an welche/n Betrieb/Person sie den am 26.12.2016 um 12.00 Uhr genutzten Werbeplatz verkaufte. Dies lässt sich ebenso einfach herausfinden wie der Inserent der „reduzierten Traumsofas“. Ich bitte Sie daher, im öffentlichen Interesse Ermittlungen durchzuführen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Klabunde

Daraufhin erhielt ich am 10.5.2017 von der Staatsanwaltschaft folgende Zwischennachricht:

26.04.2017

Sehr geehrter Herr Klabunde,

in der oben bezeichneten Angelegenheit wird mitgeteilt, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen worden sind.

Hochachtungsvoll

Oberstaatsanwalt

Bereits am 2.6.2017 traf von der Staatsanwaltschaft folgendes Schreiben ein:

29.05.2017

Sehr geehrter Herr Klabunde,

aufgrund Ihrer Beschwerde vom 23.04.2017 habe ich die Ermittlungen wieder aufgenommen und die Facebook Germany GmbH in Hamburg befragt, an welchen Betrieb/Person sie den am 26.12.2016 um 12.00 Uhr genutzten Werbeplatz verkaufte. Die Facebook Germany GmbH hat daraufhin mitgeteilt, dass die gewünschte Auskunft nur aufgrund eines förmlichen Rechtshilfeersuchens in die Vereinigten Staaten von Amerika erteilt wird. Dort befinden sich auch - soweit überhaupt noch vorhanden - die gespeicherten Daten. Da ein Rechtshilfeersuchen wegen der hier in Rede stehenden Tat zu keinem Erfolg führen würde, habe ich das Ermittlungsverfahren erneut mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Hochachtungsvoll

Oberstaatsanwalt

Hierdurch wurden mir tiefe Einblicke in die Arbeitsweise von Staatsanwaltschaften gewährt: Nicht diese wissen und bestimmen eigenständig, wie ein Ermittlungsverfahren durchzuführen ist, sondern beliebige Dritte. Und wenn diese keinen Bock haben, denken sie sich einfach irgendwelchen hanebüchenen Quatsch aus, und die Staatsanwaltschaft nimmt das folgsam hin.

Weshalb ein Rechtshilfeersuchen zu keinem Erfolg führen würde (wahrscheinlich hat Facebook ihr das eingeflüstert), begründet die Staatsanwaltschaft nicht. Ohnehin ist ihre Logik völlig verdreht: Der Umstand, dass angeblich aus nicht genannten Gründen ein Rechtshilfeersuchen keinen Erfolg haben würde, kann nicht zu der Feststellung führen, es bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Nur weil die Facebook GmbH dummes Zeug plappert und die Staatsanwaltschaft daraus folgert, dass ein Rechtshilfeersuchen keinen Erfolg haben würde, wird nicht plötzlich der Tatverdacht gemindert.

Wat is 'n hinreichender Tatverdacht? Als juristischer Laie verstehe ich das wie folgt: Der hinreichende Tatverdacht ist Voraussetzung dafür, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Beschuldigten („Verdächtigen“) erhebt und dass daraufhin das Gericht das Hauptverfahren eröffnet (also einen Strafprozess gegen den nun Angeklagten führt). Ergeben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, dass ein Beschuldigter offensichtlich nicht der Täter ist (der Bankräuber flüchtete zwar im Auto von Erwin Schulze, dieser aber weilte gerade in Australien, und sein Auto war gestohlen), so stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen diesen Beschuldigten ein. Im Mittelpunkt steht also immer eine Person, ein eindeutig bestimmter lebender Mensch, von dem die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Ermittlungen überzeugt ist, eine bestimmte Straftat begangen zu haben - oder eben nicht. Wer aber war im vorliegenden Fall der Beschuldigte, den die Staatsanwaltschaft zunächst verdächtigte und schließlich nicht mehr? Niemand. Es gab noch gar keinen Beschuldigten, sondern die Staatsanwaltschaft war erst auf der Suche nach einem solchen. Wie aber konnte sie dann das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts einstellen? Aber selbst wenn die Staatsanwaltschaft bereits einen Beschuldigten im Visier gehabt und dieser sich als unverdächtig erwiesen hätte, so dürfte sie die Ermittlungen, wer das Hakenkreuz inseriert hatte, nicht vollends und für immer einstellen, nur weil der erste Beschuldigte zufällig nicht der Täter ist. Vielmehr müsste die Staatsanwaltschaft selbstverständlich weiter ermitteln, um den tatsächlichen Täter zu finden. Der Bankräuber darf auch nicht für den Rest seines Lebens unbelangt bleiben, nur weil der zunächst in Verdacht geratene Erwin Schulze sich als unverdächtig erwiesen hat.

Der Staatsanwaltschaft hätten sich noch zwei andere Möglichkeiten geboten, die Angelegenheit auf kaltem Wege plattzumachen: Sie hätte behaupten können,

a) es bestehe kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Diese Aussage aber wäre hinsichtlich eines Hakenkreuzes im Allgemeinen und in Anbetracht der öffentlichen Diskussion über strafbare Inhalte in Facebook und Konsorten im Besonderen megapeinlich, schied also leider aus.

b) es sei kein Täter zu ermitteln. Dies wäre völlig unglaubwürdig, denn es war der Staatsanwaltschaft nicht objektiv unmöglich, den Täter zu finden, sondern sie brach lediglich die Ermittlungen ohne Notwendigkeit spontan ab, nachdem Facebook ihr was vom Pferd erzählt hatte. Zudem hatte sie diese Behauptung bereits im ersten Einstellungsversuch wirkungslos verbraten, konnte sie also kein zweites Mal auftischen.

Daher probierte die Staatsanwaltschaft nun zur Abwechslung die alles und nichts sagende Variante des „Mangels an hinreichendem Tatverdacht“. Zusätzlich unsinnig ist die Aussage, sie habe das Ermittlungsverfahren „erneut“ mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt: Das hatte sie bislang noch nicht getan, sondern beim ersten Mal hatte sie behauptet, Ermittlungsansätze, die zur Überführung eines Täters führen könnten, seien nicht vorhanden.

Fa. Facebook steht nicht besser da - scheint ja ein ziemlich unprofessioneller, desorganisierter Saftladen zu sein: Daten ihres Kerngeschäfts, nämlich Verkauf von Werbeplatz, schon nach wenigen Monaten zu löschen, entspricht nicht gerade den GoB (Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung). Glaubt die Staatsanwaltschaft im Ernst, dass Facebook so stümperhaft arbeitet? Spätestens die dortige Innenrevision, der Wirtschaftsprüfer und das Finanzamt würden Facebook schön was husten, wenn der Betrieb umsatzrelevante Daten nach kurzer Zeit vernichten würde. Andere Daten löscht Facebook bekanntlich nicht so schnell, nicht einmal von Toten: Mitte des Jahres 2017 ging durch die Medien, dass die Eltern einer 2012 verstorbenen Minderjährigen Facebook verklagt hatten, um Zugang zum Datenkonto ihrer Tochter zu erhalten. Und eigenartig: Dieses Verfahren wurde vor deutschen Gerichten gegen die Facebook-Europazentrale in Irland betrieben. Wenn dies in einem von Privatpersonen initiierten zivilrechtlichen Verfahren funktioniert, dann muss es in einem von einer Staatsanwaltschaft geführten strafrechtlichen Verfahren erst recht möglich sein.

Wissen Heiko Maas und sein etwaiger unbekannter Nachfolger in der etwaigen unbekannten nächsten Bundesregierung, wie die operative Ebene tickt?

All das macht mich völlig fertig: wie peinlich, wie blamabel und beschämend - für mich! Seit 16 Jahren rackere ich mich vergeblich ab, endlich mal eine halbwegs brauchbare Satire zuwege zu bringen, und nun zeigt mir die Staatsanwaltschaft Göttingen, wie man's macht, mit leichter Hand und in wenigen prägnanten Sätzen. Diese Farce ist ein Meilenstein in der großen Tradition genialer deutscher Humoresken: Die Staatsanwaltschaft ähnelt einem der beiden Herren auf der Pferderennbahn, der die komplexe, komplizierte Wirklichkeit weltentrückt durch das umgedrehte Fernglas betrachtet („Wo laufen sie denn? Ach, ist der Rasen schön grün.“) und dem alles schnurzpiepegal ist: „Na, denn ist die Sache für mich erledigt.“ Gleichfalls. Deshalb mache ich jetzt drei Kreuze. Ohne Haken.

Siehe auch:
Aus II mach I

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